Heute ist Weihnachten, genauer gesagt ist heute der Heilige Abend (fast am Ende eines mehr oder weniger Unheiligen Jahres übrigens), und daher erscheint der letzte Newsletter des Jahrgangs 2020 auch nicht erst am 25. Dezember, wie es ansonsten immer freitags eigentlich normal wäre, sondern schon am heutigen Donnerstag, dem 24. Dezember 2020 und Heiligen Abend. Und sowohl theoretisch als auch ganz praktisch könnte jemand, der jetzt, um anderen oder auch sich selbst noch auf die Schnelle eine weihnachtliche Freude zu machen, ein oder (am besten) auch gleich mehrere E-Books bestellen, bezahlen und auch gleich herunterladen, um sie dann nach der Bescherung zu lesen und in das weite Land der Literatur zu reisen …

Apropos weites Land der Literatur. Wie weit und grenzenlos dieses ist, das beweisen auch erneut die insgesamt fünf aktuellen Angebote, die wie immer eine Woche lang zum Sonderpreis im E-Book-Shop www.edition-digital.de (Freitag, 25.12. 20 – Freitag, 1.1. 21) zu haben sind. So befinden wir uns im zweiten jener fünf Sonderangebote in der Zeit der Anti-Napoleonischen Befreiungskriege und bei den Lützowern, dieser berühmten wilden, verwegenen Schar, die ganz im Gegensatz zu einem zögerlichen und entscheidungsunwilligen König die Ehre Deutschlands retten und verteidigen wollte. Allerdings war es offenbar für hochmotivierte Freiwillige gar nicht so einfach, zu den Lützowern zu gelangen, wie Peter Löw in seinem spannenden Historischen Roman „Der Schwarze Jäger aus Sachsen“ zu erzählen weiß.

In ganz andere, geradezu zauberhafte Welten entführt uns Susanne Christa Hüttenrauch (was für ein klangvoller Name!) in „Gwion der Zauberer“, 1. Teil, „Der Fluch“. Ein kleiner Junge gerät darin in große Schwierigkeiten. Und er hat es mit Hexen zu tun.

Um eine – in diesem Falle allerdings angebliche – Hexe geht es auch in dem Historischen Roman „Die Hexe vom Fischland“ von Rudi Czerwenka, der sich auf aus heutiger Sicht sehr traurig machende historische Quellen stützt. Zugleich zeigt das Buch, wie und vor allem warum falsche Anschuldigungen „produziert“ werden …

Vom Himmel hoch“ – so lautet der Titel des Fake-News-Buches von Gerhard Branstner. Fake News? Klingt „Vom Himmel“ nicht eher und passenderweise nach Weihnachten? Nein, denn es geht darin eher um eine Art von Münchhausen, und zwar um Münchhausen im Weltraum – in einer ausgedienten Orbitalstation, dem „Müden Gaul“. Aber was heißt hier Münchhausen, ein Münchhausen – es geht vielmehr um vier Münchhausens im Weltraum. Ungelogen.

Und damit sind wir wieder beim aktuellen Beitrag der Rubrik Fridays for Future angelangt. Jede Woche wird an dieser Stelle jeweils ein Buch vorgestellt, das im weitesten Sinne mit den Themen Klima, Umwelt und Frieden zu tun hat – also mit den ganz großen Themen der Erde und dieser Zeit. Und da hat die Literatur schon immer ein gewichtiges Wort mitzureden und heute erst recht. Das heutige Angebot präsentiert ein langes und kämpferisches, schon mehr als neun Jahrzehnte dauerndes Leben eines Mannes, der zum Glück nicht nur überlebt, sondern auch viel erlebt hat und der weiß, wie es ist, wegen seiner Herkunft und wegen seiner progressiven politischen Überzeugungen angegriffen zu werden. Und gerade heute, wo es leider wieder in Mode zu kommen scheint, Menschen eben wegen ihrer Herkunft oder wegen ihrer progressiven politischen Überzeugungen offline wie online zu beschimpfen und zu bedrohen, sie körperlich anzugreifen und sogar umzubringen, ist es gut, ein solches starkes Erinnerungsbuch zu haben – zum einen, weil man sich erinnert, dass es solche Tendenzen nicht nur in der deutschen Geschichte schon einmal gegeben hat. Und zum anderen, weil diese Erinnerungen auch Kraft und Mut machen, sich selbst zu wehren und Solidarität mit allen jenen zu üben, die heute wieder bedroht und beschimpft und ausgegrenzt werden. Wehret den Anfängen! Oder sind wir vielleicht schon einen Schritt weiter? Jedenfalls darf man sich nichts gefallen lassen. Vor allem das nicht.

Erstmals 2017 erschien im Dittrich Verlag (Imprint der Velbrück GmbH, Weilerswist–Metternich) „Schade, dass du Jude bist. Kaleidoskop eines Lebens“ von Walter Kaufmann: Immer in Bewegung, sich ständig verändernd – so ist das Leben dieses Autors. Als Fünfzehnjähriger flieht er aus Nazideutschland nach England, wird von dort nach Australien deportiert, wo er sich mit verschiedenen Arbeiten über Wasser hält – im Krieg Soldat, später Hochzeitsfotograf, Dock- und Hafenarbeiter, zuletzt Seemann. Zurück in Deutschland ist es die DDR, die er wählt. Dort lebt er als Schriftsteller, geht wieder zur See, schreibt Reportagen aus Japan, Irland, Israel und den USA. Er bleibt in der Welt zu Hause. In seinen bewegenden, autobiografischen Erzählungen betrachtet Walter Kaufmann Menschen, so verschieden, wie die Länder, die er bereiste, von Begegnungen, von Stimmungen, die er einfängt und die berühren. So offenbart sich dem Leser ein immer wieder neues, stets anderes Bild und jedes davon überrascht und verzaubert. Das literarische Kaleidoskop eines Lebens. „In dieser meisterlichen Kurzprosa zeigt sich die Spannweite zwischen Region und weiter Welt, zwischen Vertrautem und Fremdem, zwischen kleinen Verhältnissen und exotischen Abenteuern, zwischen sozialer und künstlerisch-literarischer Erfahrung“, so hieß es in der Laudatio zur Verleihung des Literaturpreises Ruhrgebiet an Walter Kaufmann, der eigentlich als „Jizchak Schmeidler“ geboren wurde, und der am 19. Januar 1924 hoffentlich seinen 100. Geburtstag feiern kann. Und das wäre dann ein zusätzlicher und ein ganz persönlicher Sieg über die Pläne aller Rassisten und Faschisten, die ihn am liebsten ebenfalls wie seine Mutter, eine jüdische Verkäuferin, und seine Adoptiveltern, den jüdischen Anwalt Sally Kaufmann und dessen Frau Johanna, umgebracht und ein solches prallvolles Leben voller Erlebnisse und Geschichten gebracht hätten. Eine dieser Geschichten aus dem Kaleidoskop eines Lebens fängt so an:

Nacht über Shepparton

Auch zum Abend hin war es noch heiß am Kanal, wo ich und Albert Klett seit unserer Entlassung aus dem Lager in einer Hütte hausten. Die Tageshitze blieb im Holz wie Glut im Ofen, und es half nichts, dass wir eimerweise Wasser übers Wellblechdach gossen – in der Windstille drückte die Luft. Wir wichen zum Kanalufer aus. Dort aber plagten uns die Mücken, stachen uns in Stirn, Hals, Hände, Arme, ihr Sirren durchdrang das blubbernde Quaken der Bullfrösche, es sirrte uns im Ohr, bis wir, vom Ufer geflohen, vor der Hütte ein Feuer entfacht hatten, dessen Rauch die Mücken vertrieb.

Spät in der Nacht noch saßen wir auf Baumstümpfen beim glimmenden Feuer, erschöpft von der Plackerei in der Obstplantage, voll Ingrimm auch gegen Tom Cornish, den Sohn des Bosses, der stets jeden unserer Körbe nach unreifen Pfirsichen abgesucht hatte – auch heute wieder würde uns der Lohn gekürzt werden. Zum Teufel mit dem Kerl … Saufraß, Plackerei von früh bis spät und dazu diese stickige Bruchbude, in der wir hausen mussten. Über dem Feuer brühten wir Tee gegen den Durst und die Hitze, der Tee trieb den Schweiß und machte, dass wir uns kühler fühlten.

Als habe Albert während unseres Schweigens an nichts anderes gedacht, begann er plötzlich von seiner Zeit als Schlosser im Ruhrgebiet zu reden, und was er sagte, trug ihn aus der australischen Welt in die andere vor dem Krieg, der Welt von Gelsenkirchen. „Glaub mir – das war keine Heldentat, den Brandsatz ins Sturmlokal der SA zu schleudern“, sagte er mir, „wo ich doch danach Brunos Fahrrad einfach fallen gelassen hatte und über die Hinterhöfe abgehauen war. Bis heute verfolgt mich das – immer denke ich, das Fahrrad könnte in die Klauen der Gestapo geraten sein, und dann … Mit der Zeit ist in meiner Vorstellung aus dem Fahrrad eine Foltermaschine geworden, und Bruno, der uns all die Monate zusammengehalten hat, wird von der Gestapo gefoltert. Denn da wo das Rad hergestellt worden war, hat Bruno gearbeitet – und dort hatte er es gekauft. Darum ist mir bis heute, als hätte ich eine Spur gelegt! Sieben Jahre ist das her, seit ich über die Grenze aus Deutschland geflohen bin, und noch immer quält mich die Sache mit dem Fahrrad.“

Das Feuer war erloschen, und es war kühler jetzt in der Nacht. Hell strahlte das Kreuz des Südens im blauschwarzen Himmel. Ein Windhauch kam auf. In der Hütte, ausgestreckt auf unseren Strohsäcken, lauschten wir dem Rauschen der Blätter im Wind.

„Bist du noch wach?“, fragte Albert.

„Bin ich.“

„Diesen Brandsatz zu schleudern“, sagte er, „und dann einfach zu verschwinden … wo doch Umsicht und Weitblick zum Überleben gehörte.“

„Wer wird schon damit geboren“, sagte ich. „Das bringt doch erst die Erfahrung.“

„Mir zu spät“, erwiderte Albert dumpf, „viel zu spät!“´Und damit zu den ausführlicheren Vorstellungen der anderen vier Sonderangebote dieses Weihnachts-und-Silvester-Newsletters.

Erstmals 1983 veröffentlichte Peter Löw als Band Nr. 181 der bekannten und beliebten Reihe „Spannend erzählt“ des Verlages Neues Leben Berlin „Der Schwarze Jäger aus Sachsen“: Abenteuerlich und gefahrvoll ist Karl Schillings Weg zu den Lützowern. Napoleonische Söldner haben den Bruder des sächsischen Infanteristen ermordet, und der kehrte den mit Frankreich verbündeten Truppen Friedrich Augusts von Sachsen den Rücken, um sich dem Freikorps anzuschließen. Die Schwarzen Jäger (Lützower) hat er sich anders vorgestellt – aber dort gibt es den Onkel Max Schilling und den blutjungen Feldwebel Wilhelm Lanz, der ihm verstehen hilft, warum der preußische König ein starkes Freikorps fürchtet. Ein geheimer Auftrag führt beide in vom Feind besetztes Gebiet, und durch Zufall erfährt Karl, wer der Feldwebel Lanz wirklich ist … Hier der Anfang des Buches, das sich genau so liest wie die zu DDR-Zeiten populäre Buch-Reihe heißt, in der es zuerst erschienen war – „Spannend erzählt“:

„1. Kapitel

Es hallte, als die Truppe in den verwaschenen Uniformen den Torweg des Rittergutes passierte. Aufseher flankierten den Zug von Gefangenen. An der Spitze marschierten Soldaten in preußischem Blau. Sie eskortierten einen Gefesselten.

„Geradeaus!“, brüllte Pieske, der Oberaufseher, im Wirtschaftshof. Geradeaus, das bedeutete für die Gefangenen, am Brunnen, am ersehnten Wasser, vorbei und weiter zum Schlosshof. In den Schlosshof hinein und auf die Freitreppe mit den steinernen Jägern zu, die gleich Schildwachen auf den Balustraden standen.

Der Hauptmann kommandierte ein schneidiges „Halt!“. Zwischen den Köpfen der Mitgefangenen hindurch sah Karl Schilling, wie Soldaten Hermann Schreiber, seinen Freund, mit Kolbenstößen hinüber zu der mächtigen Linde trieben, deren ausladendes Blätterdach den rückwärtigen Teil des Schlosshofes in Schatten tauchte. Aus den Stallungen, von der Wagenremise näherte sich Gutsgesinde dem Schauspiel.

Mit rohen Griffen lösten die Soldaten Hermann die Fesseln. Sie zerrten ihn an der Schulter herum, stießen ihn rücklings gegen den Baum. Aufseher rissen seine Arme nach hinten, schlossen sie in die im Stamm befestigten Eisen.

Die Linde hieß der Gerichtsbaum.

Karl stöhnte auf. Hatte nicht er den Kameraden ins Unglück gestürzt? Im Geiste sah er wieder Klaus, den Bruder, in einer Blutlache auf dem Pflaster liegen: Mit zur Seite gefallenem Kopf und starren Augen, verkrümmt angewinkelten Beinen und verdrehtem Arm. Männer und Frauen stießen Verwünschungen und Drohungen gegen die uniformierten Mörder aus.

Inmitten des Auflaufs stand bleich und bebend das Mädchen, das Klaus vor den betrunkenen Franzosen verteidigt hatte. Die Mutter schluchzte und war nur schwer von dem leblosen Körper zu lösen. Männer halfen Karl, den Leichnam ins Haus zu tragen, der Vater, der weinend hinterherlief, war dazu nicht in der Lage. – Nachher blickte einer finster auf Karls sächsische Uniform, fragte, ob er auch jetzt noch an der Seite der Franzosen kämpfen wolle. Das alles geschah während seines Heimaturlaubs nach der Bautzener Schlacht. Wenig später gab er die Antwort. Die Niederlage Napoleons in Russland lag ein Jahr zurück; dessen neu aus dem Boden gestampfte Armee und mit ihm verbündete Truppen waren im April zu einer ersten Kraftprobe auf vorstoßende russisch-deutsche Abteilungen in Norddeutschland getroffen.

Bei Lüneburg kehrte Karl den sächsischen und französischen Fahnen den Rücken. Zu den Lützowern wollte er, die es sich zum Ziel gesetzt hatten, den Volksaufstand zur Befreiung Deutschlands zu entfachen, und bei denen sein Onkel Max Schilling kämpfte. Zu den Lützowern, deren tollkühne und erfolgreiche Handstreichunternehmungen gegen die Franzosen in aller Munde waren. Hermann Schreiber war mit ihm gekommen.

Die Soldaten traten in die Kompanie zurück. Bedrückende Stille lag über dem Hof. Stille, die gleichsam unterstrichen wurde vom Stampfen eines Hufes im Pferdestall, von dem Gezänk der Spatzen, die sich im Abendlicht um ein Weizenkorn balgten, erregtem Raunen der Mägde und Knechte, die des Gerichts harrten.

Der an den Baum Geschlossene hob den Kopf, sah suchend zu den Gefangenen. Wirr hing ihm das schweißnasse Haar in die Stirn. Sein Gesichtsausdruck war bitter, als verwünschte er einmal mehr den Tag ihres Überlaufens.“

Als Eigenproduktion von EDITION digital veröffentlichte Susanne Christa Hüttenrauch 2013 „Gwion der Zauberer“, 1. Teil, „Der Fluch“ – und zwar sowohl als E-Book wie auch als gedruckte Ausgabe: Gwion ist ein kleiner schmächtiger Junge, der von den Hexen Cerridwen, Heredwu und Zurudwu aus den Sieben Himmeln entführt wurde. Seine Mutter, die Schöpferin der Welten, schickt ihre Tochter Merit aus, um ihn zu suchen, jedoch ohne Erfolg. Nur der Drak Gluswanz schafft es, Gwion auf dem Kesselplatz der Hexen zu finden, wo er einen Zaubertrank für Cerridwens hässliche Söhne rührt. Gemeinsam gelingt ihnen die Flucht. Wenn bloß nicht der Berggeist Goblan Gaa wäre, der die beiden in den Weiten der Sieben Himmel aufspürt und zurückbringt. Schließlich wollen die Hexen mit ihrem magischen Elixier die Sieben Himmel in die Dunkelheit stürzen. Gelingt es Gwion, den Plan der Hexen abzuwenden und wieder nach Hause zu finden? Tauchen Sie mit uns ein in eine ebenso unbekannte wie faszinierende Welt:

Möge das Licht in dir erwachen und die Worte tief in dir das entfachen, was schon längst da ist, vor sich hinschlummert und darauf wartet, endlich von dir entdeckt zu werden.

Möge das Licht dich leiten, die Liebe es öffnen und dein Herz voller Freude erfüllt dem Leben entgegeneilen.

Möge in dir befreiender Friede herrschen.

Ab jetzt für immer in alle Richtungen der Zeit bis in alle Ewigkeit.

Euer Gwion

Statt eines Vorworts

Seit Anbeginn der Zeit herrschte in den Sieben Himmeln ein ständiger Krieg um die Territorien.

Düstere Wesen wie der Hexenclan de Guer mit seinen drei Schwestern Cerridwen, Heredwu und Zurudwu lebte im Reich der Menschen, tief verborgen auf einer Burg im finsteren Wald von Penllyn. Die Halbinsel war wie geschaffen für die bösen Zauberinnen, da sich hier nur Sterbliche aufhielten, die über keine Möglichkeiten der Magie verfügten. Somit hatten die Hexen leichtes Spiel, sie ihren dunklen Machenschaften zu unterwerfen. Dämonische Lorks, die wie Wachhunde den Befehlen Cerridwens gehorchten, sorgten zusätzlich für Angst und Schrecken auf der Burg. Sie verbreiteten einen übel riechenden Gestank und mit ihren dunklen Kutten waren sie kaum zu bemerken. Genauso wie die Shedims, die als Nebelfrauen durch die Lüfte jagten und dem Clan de Guer als Sturmgeister dienten.

Der Fürst der Finsternis, der Vater der ältesten Schwester Cerridwen, hatte es sich zur Aufgabe gemacht, die Sieben Himmel zu zerstören. Also gebar Cerridwen durch einen Zauber in einer dunklen Nacht ihre beiden Söhne Morfan und Afagddu. Doch Cerridwen wurde mit zwei hässlichen Scheusalen verflucht. Seit diesem Tag war die große Schöpferin Ambika, die Herrscherin der Sieben Himmel, ihre ganz persönliche Erzfeindin und sie wollte sie um jeden Preis vernichten. Somit suchte sie immer wieder nach Verbündeten und fand in Annwyn, der verborgenen Anderswelt, den Fürsten Arawan, der ihr helfen wollte, die Macht der Großen Mutter Ambika zu stürzen.

Ambika dagegen, die von den Meistern des Lichts erschaffen wurde, stand für das Gute ein und kümmerte sich um alle Wesen in den Sieben Himmeln. Sie lebte die meiste Zeit in ihrem Schöpferhimmel mit ihren vielen Kindern. Von dort aus befehligte sie über alle Himmel und wurde durch den Kosmischen Rat unterstützt. Zwölf auserwählte Richter hüteten die himmlischen Gesetze auf großen Smaragdtafeln und tagten im Violetten Himmel stets bei Neumond. Ihre Aufgabe war es, über die Wesen zu richten, die sich nicht an die Kosmischen Gesetze hielten. Meist waren es die Dämonen der Finsternis, die sich unbefugt zwischen den Welten ganze Landstriche aneignen wollten. Jedoch die Wächter der Sieben Himmel sandten ihre Lichtarmee aus, um die Übeltäter sogleich einzufangen und in den Violetten Himmel zu bringen.

Die Götter des Wandels hatten die Aufsicht über diese Wesen, nachdem der Kosmische Rat über sie gerichtet hatte und ließ ihnen die Möglichkeit, ein Leben im Licht zu wählen oder wieder in ihre verborgende Anderswelt zu verschwinden.

Trotz alledem gelang es den Hexen, den kleinen Gwion aus Ambikas Reich zu stehlen und ihn für ihre Zwecke zu benutzen.

Seine Mutter, die Schöpferin der Welten, schickte ihre Tochter Merit aus, um ihn zu suchen, jedoch ohne Erfolg.

Nur der Drak Gluswanz schaffte es, Gwion auf dem Kesselplatz der Hexen zu finden, wo er einen Zaubertrank für Cerridwens hässliche Söhne rühren musste. Gemeinsam gelang ihnen die Flucht.

Wenn bloß nicht der Berggeist Goblan Gaa gewesen wäre, der die beiden in den Weiten der Sieben Himmel aufspürte und zurückbrachte! Schließlich wollten die Hexen mit ihrem magischen Elixier die Sieben Himmel in die Dunkelheit stürzen.

Glückte es Gwion, den Plan der Hexen abzuwenden und wieder nach Hause zu finden?

Der dunkle Wald

Ein kleiner verängstigter Junge stand mutterseelenallein am lodernden Feuer. Sein schmächtiger Körper wurde von einem zerrissenen grauen Stoffmantel bedeckt, der wie ein großer Fetzen an ihm hing. Der untere Saum war durch die modrige Erde bereits tiefschwarz und seine nackten Füße lugten darunter ebenso dunkel hervor. Mit einer hölzernen Kelle bewaffnet, beugte sich der Knabe über den brodelnden Kupferkessel, der an einem Dreibein hing. Er rührte in diesem übel riechenden Gebräu herum. Das Holz war bereits sehr weit heruntergebrannt, er ging einen unbedachten Schritt, kam dabei mit den Füßen der glühenden Kohle etwas zu nah und schrie vor Schmerz auf. Über sein verdrecktes Gesicht liefen große Tränen, die seine Qualen erahnen ließen. Er wischte sich diese tapfer mit seinem schmutzigen Ärmel von der Wange. Dabei hinterließ er eine saubere Spur in seinem Gesicht, die zeigte, wie sonnengebräunt der Junge doch war. Also musste er sich selbst bei dieser herbstlichen Kühle öfter im Freien aufhalten. Seine zerzausten Locken, die wild von seinem Kopf abstanden und goldig schimmerten, bewiesen dies ebenfalls. Flink huschte er zu Boden und begutachtete seine verbrannten Zehen, die über und über mit unzähligen Blasen übersät waren. Jedoch träufelte er behutsam einige Tropfen auf die schmerzende Stelle und plötzlich welkte die entstandene Blase wie ein Blume ein und hinterließ heiles Fleisch. Der Junge erschrak und sprang abrupt auf, um mit seiner Kelle noch einige Tropfen aus dem Kessel zu bergen. Diesmal setzte er sich behutsam in die Hocke und kippte den Kelleninhalt zur Hälfte auf den einen und die restliche Menge auf den anderen Fuß. Verblüfft über das Verschwinden seiner Wunden lächelte er das erste Mal an diesem Tag und gab einige Zahnlücken preis, die sein kindliches Alter verrieten.

Plötzlich knackte es unweit des Kesselplatzes und der Knabe erhob sich langsam. Seine dunklen müden Augen starrten in die Abenddämmerung, ein Frösteln ließ ihn zusammenzucken. Kalter Wind kam auf und brachte Nebelschwaden mit sich, die bedrohlich herankrochen und die rings um das Feuer lauerten. Vor Schreck fiel ihm die hölzerne Kelle aus der Hand und krachte zu Boden. Schnell bückte er sich nach ihr, hob sie auf, wischte sie einmal an seinem grauen Mantel ab und steckte sie eilig wieder in den Kupferkessel.

Ein schaurig klingendes Geräusch drang an seine Ohren und er versuchte auszumachen, was für ein Tier so jämmerliche Laute von sich gab. „Es könnte ein Wolf gewesen sein oder eine abscheuliche Kreatur, die auf der nahen Burg wohnt“, dachte er. Deshalb drehte er unmerklich den Kopf und spähte mit ängstlichen Augen direkt auf die Anhöhe. Er sah einen schwarzen Vogel, der oben auf der Burgspitze saß, und ihn mit gelben Augen anstarrte. Sofort wendete er sich ab und blickte in die vor ihm zischende Suppe.

Eine leise Melodie wehte nun aus der Ferne zu ihm herüber, als diese jedoch lauter wurde, fing der Knabe leise an zu wimmern. Dabei kullerten ihm erneut große Tränen über sein Gesicht und fielen in den Kupferkessel. Das Gebräu fing daraufhin kräftig an zu brodeln und der Junge stöhnte sorgenvoll auf. „Oh nein, wenn die Hexe dies bemerkt!“

Allerdings beruhigte sich der Inhalt des Kessels schnell wieder und er ebenfalls. Die Nacht legte sich jetzt pechschwarz auf ihn und nur das prasselnde Feuer verriet seinen Platz, allein, zurückgelassen, im finsteren Wald von Penllyn.“

Erstmals 1999 erschien im  Scheunen-Verlag Kückenshagen „Die Hexe vom Fischland. Leben und Leiden der Tillsche Schellwegen“ von Rudi Czerwenka: Die Wustrowerin Tillsche Schellwegen liebt den Frauenverführer Johann Holste. Während sie diese Beziehung ernst nimmt, sieht Holste diese bald nur noch als Hinderungsgrund für sein Fortkommen. Um das Küsteramt zu bekommen, nimmt er die Witwe des Küsters zur Frau, will aber Tillsche nicht verlieren. Da sie inzwischen verheiratet ist, plant er ein Attentat auf den Fischer Hans Dahm, das einen anderen Dorfbewohner tötet. Um sich selbst zu retten, bezichtigt er Tillsche der Hexerei. Dabei sekundiert ihm der skrupellose Fritz von Wagenhof, der nach Abschluss der Greifswalder Juristenfakultät zum Gerichtsadjunkt in Ribnitz aufgestiegen war. Und so nimmt das Grauen seinen Lauf: Tillsche wird festgenommen, gefoltert und nach missglückter Flucht auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Dieser spannende historische Roman entstand nach Akten über die letzte Hexenverbrennung in Güstrow am 17. Mai 1664. Springen wir also 356 Jahre zurück:

`„Du hast meinen Hund totgemacht, du sollst verflucht sein!“

Eine leichte Brise lichtete den Frühnebel, der wie ein Schleier über dem Bodden gelegen hatte und nun aufriss. Der Küstenstreifen war noch verhüllt, doch der mit Buschwerk überzogene Haken, hinter dem sich der Ribnitzer See nach Osten öffnete, schälte sich allmählich aus dem Dunst. Dort wurde ein Boot sichtbar. Es schien stillzuliegen. Nur die Wasserkringel um die Ruderblätter deuteten darauf hin, dass es sich näherte. Tillsche, die knapp zwanzigjährige Tochter der Magd Ilse Schellwegen aus dem Kirchdorf Wustrow, war auf dem Weg zum Ribnitzer Markt.

Man schrieb das Jahr 1635. Es war die Zeit des Dreißigjährigen Krieges. Nach ihrer Landung an der Peenemündung hatten nun die Schweden die zuvor von den Kaiserlichen besetzten Ribnitzer Schanzen und damit auch das Fischland erobert, wo es allerdings nicht mehr zu viel zu holen gab. Ein paar Dutzend Familien hatten in dem von wechselnden Machthabern ausgelaugten Landstreifen zwischen Meer und Bodden überlebt. Die Äcker lagen brach, die Wiesen waren verwildert. Die Menschen hatten lernen müssen, dass es sich kaum noch lohnte, Vieh einzustallen oder Felder zu bebauen. Die fremden Kriegsscharen, jetzt auch die Schweden, nahmen, was sie fanden. Über diese regulären Armeen hinaus saßen abgespaltene Landsknechtsrotten und Räuberbanden in den Wäldern und durchstreiften plündernd das Land. Nichts und niemand war vor ihnen sicher.

Am Beginn dieses Krieges, als Ilse Schellwegen in schwangerem Zustand von ihrem Diensthof verwiesen worden und durch die Küstendörfer geirrt war, hatte sie in einer leer stehenden Kate auf dem Fischland ein Mädchen, ihre Tillsche zur Welt gebracht. Und sie war hier geblieben. Das Kind wurde wie ein Junge gehalten, auch gekleidet und erzogen. Zwar waren auch Knaben vor dem Zugriff der unterschiedlichsten Werber nicht sicher, doch Mädchen lebten weitaus gefährdeter. Der Zufall wollte es, dass die in der Nachbarschaft lebende Bäuerin Trin Permin im gleichen Jahr ihren bereits zweiten Buben in die Welt setzte.

Frei und zwanglos wuchsen die drei Kinder heran, wobei das Mädchen fast immer den Ton angab und damit das gemeinsame Tun bestimmte. So eroberten sie sich ihre Heimat, das Fischland, auf ihre kindliche Weise. Unbekümmert zeigten sie sich in den Lagern der Söldner und der sonstigen Schnapphähne, durchschnüffelten die kümmerlichen Vorratsverstecke der Einwohner, besuchten die Hühnergelege von Pastor Mund und den Obstgarten ihres Schulmeisters, des Küsters Bradhering. Ob es nun um derart riskante Ausflüge oder um Knüppelspiele, ums Klettern, Schwimmen oder Wettlaufen ging, das Mädchen Tillsche stand Chell und Rohle Permin in nichts nach.

Die Kinderfreundschaft hielt, auch als die drei herangewachsen waren.

Der seit Langem umstrittene, von den großen Hansestädten zerstörte und in den Kriegsjahren zunehmend verfallende Ribnitzer Hafen war erreicht. Tillsches Kahn schurrte aufs Ufer. Boris, der Hund, sprang an Land und schüttelte sich die Frühfeuchte aus dem Zottelfell. Mühelos hob das Mädchen die hölzerne Karre aus dem Boot. Es folgten die mit feuchtem Leinen abgedeckten Fischkörbe, gefüllt mit der Beute von Hans Dahm, dem Fischer vom Kirchdorf. Tillsche sicherte den Kahn, indem sie ihn vollends auf Land zog.

Dann legte sie sich den Karrengurt über die Schultern und rumpelte mit ihrer Last hügelan zur Stadt. Bald war der Marktplatz erreicht, der noch die Morgenstille atmete. Tillsche legte hier nur eine kurze Verschnaufpause ein. Boris hob zweimal das Bein, einmal beim Korbflechter Drews, der seinen Verkaufsbock aufbaute und den Hund davonscheuchte, das zweite Mal dicht neben dem blinden Gustav, der auf seinem Sackpolster hockte und seinen Kleinkram anpries, obwohl zu dieser Stunde noch kein einziger Käufer in Sichtweite war.

Tillsche überquerte den Markt und nahm die Gasse zum nahen Kloster, das seit 40 Jahren keines mehr war, doch weiterhin so genannt wurde. Gute 300 Jahre hatten die grauen Schwestern nicht nur über St. Claren, sondern auch über das Fischland und etliche weitere Dörfer verfügt, über Holzungen und Weiden, über Fischteiche, Bierbrauen und Mühlen, über Markt- und Wegerechte. Nur mit reichlichen Zugeständnissen hatte sich die Stadt einige Rechte innerhalb ihrer Mauern sichern können.

Doch dann hatten der Doktor Luther und seine Reformatoren den wohllebenden Nonnen einen fetten Strich durch die Rechnung gemacht. Das Kloster ging in den Besitz der Mecklenburgischen Landschaft über. Anstelle der Äbtissin regierte nun Domina Ursula von Kerkdorps das Stift für unversorgte Adelsdamen und bestimmte über die immer noch ansehnlichen Pfründe und Rechte. Tillsche zog kräftig am Glockenstrang neben dem Klostertor. Der Schaffer öffnete, brummte einen Morgengruß und ließ sie ein. Der Fischkarren ratterte über die Kopfsteine zum Wirtschaftstrakt. Der Koch, ein maßloser Schwabbelbauch auf zwei gefährlich dünnen Beinchen, quälte sich die wenigen Stiegen herunter und begutachtete den Inhalt der Fischkörbe. Boris beschnüffelte den verlockend stinkenden Mann. Der wies auf die leicht gepökelten Heringe und winkte Tillsche, das Gewünschte zur Kellerluke zu bringen.

Das Mädchen hatte noch einen weiteren Auftrag zu erledigen. Ilse Schellwegen hatte ein Beutelchen mit Heilkräutern für eine der Stiftsdamen mitgegeben. Doch deren Kammer war leer. Einer der Hofknechte holte die Frau aus dem Lesesaal. Berta von Wagenhof war höchstens zehn Jahre älter als Tillsche, aber dürr und klapprig wie eine Greisin. Lange Kleiderärmel und ein breiter Schalkragen verhüllten ihre Gestalt, doch das durch bläulich rote Pusteln vernarbte Gesicht entstellte sie.

Die beiden Frauen setzten sich auf eine der klobigen Bänke im Windschatten der Klostermauer.

Tillsche zog das mitgebrachte Leinensäckchen aus dem Hemd und übergab es. „Mit guten Wünschen von der Mutter. Wir haben noch Ginstertriebe beigemischt, nicht nur Huflattich und Scharfgarbe. Ihr solltet die Kräuter mit wenig Wasser aufbrühen und eine Weile stehen lassen. Wenn sich neue Schwären bilden, dann tränkt ein Tuch und legt es auf.“

„Ich danke euch.“ Die Frau steckte Tillsche einen viertel Silbertaler zu. „Und wie geht es der Mutter?“

Tillsche zuckte die Schultern. „Im Winter war sie kein einziges Mal aus der Tür. Jetzt versucht sie’s wieder. Auch mit den Augen wird es immer schlimmer.“

„Ein Jammer ist das. Da hat sie so vielen Menschen geholfen und ihre Leiden gemildert. Und nun, wo sie selbst Hilfe braucht, kann ihr nur noch Gott helfen.“

„Wir tun, was wir können, die Nachbarin Permin und ich.“

Frau von Wagenhof erhob sich seufzend.

„Es ist doch empfindlich kühl hier“, sagte sie. „Ich will wieder nach drinnen. Unser neuer Lesemeister erzählt uns von seinen Abenteuern.“

„Abenteuer erlebe ich selbst genug auf unserer Insel.“

„Aber der Mann hat die Welt gesehen“, warf die Stiftsdame ein, „bis nach Arabien hat es ihn verschlagen, wo die Männer Turbane tragen. Auch bei Hofe ist er gewesen, sowohl in Güstrow als auch in Schwerin und hat dort die Damen unterhalten.” Damit verschwand Frau von Wagenhof hinter einer der Türen.

Tillsche, die noch nie über den Darßer Wald und über Ribnitz hinausgekommen war, war neugierig geworden, vor allem wegen dieses Mannes mit dem Turban. Zunächst jedoch holte sie ihren unter einer Kastanie abgestellten Karren und rumpelte vom Hof. Boris wollte in Richtung Markt davontoben. Sie pfiff ihn zurück und schob ihr Gefährt entlang der Klostermauer bis zu der Stelle, wo diese an den Lesesaal stieß. Mit beiden Händen krallte sie sich an zwei aus dem Mauerwerk ragende Steine, nahm Schwung und war oben. Vorsichtig kroch sie auf der Krone entlang bis zu dem ersten Fenster.

Die Damen in dem Raum kehrten ihr den Rücken zu. Ihnen und somit auch Tillsche zugewandt saß jener Mann, der zu ihrer Enttäuschung überhaupt keinen Turban trug. Dafür hatte er langes, wie Seide schimmerndes, blondes Haar, das ihm über den weißen Kragen fiel, der den langen schwarzen Rock zierte. Er bewegte die Lippen, doch Tillsche hörte nichts, denn die Fenster waren geschlossen. Das also war der Vorleser, von dem die Damen seit wenigen Wochen ausnahmslos schwärmten und der ihnen die weite Welt in ihre Einsamkeit brachte. Wie gebannt starrte Tillsche in das Halbdunkel des Raumes. Das hier war doch ein anderer Kerl als die, die sie kannte, als Fischer Dahm oder Fiete Permin oder ihre Freunde Chell und Rohle. Ihre Neugier wuchs, und sie wagte sich auf der schmalen Mauer immer weiter vor. Da sah der Mann auf, und Tillsche zuckte zurück, während ihr Herz klopfte. Als sie sich dennoch wieder hervortraute, hielt sie den Blicken stand, die er nun fast ununterbrochen auf sie richtete. Er war so jung, und die Augen waren so hell, und das Haar war so weich.

Der laute Klang der Klosterglocke riss sie in die Wirklichkeit zurück. Dies war das Signal, das den Bauern und Knechten auf den Feldern und Wiesen seit alters her die vormittägliche Arbeitspause ankündigte. Nun aber mahnte es Tillsche, dass sie hier noch anderes zu tun hatte, als faul auf der Mauer zu hocken.

Sie sprang herab, sodass Boris jäh aus seinem Nickerchen gerissen wurde.

Wenige Minuten später war sie auf dem Markt. Sie drängte sich durch das Gewühl zu ihrem angestammten Platz, deckte die Körbe ab und beteiligte sich an den Geschäften. Dabei genoss sie den Vorteil, dass allein sie Fische anbot.

Das Treiben war inzwischen voll im Gange. Die Handwerker hatten ihre Frauen geschickt. Sie konnten besser reden, die Waren erfolgreicher anpreisen. Die Kleinkrämer dagegen saßen selbst an ihren Ständen und schafften es durchaus, die Weiber zu übertönen. Doch nicht nur Verkäufer und Kauflustige bevölkerten den Markt, sondern auch viele Gaffer, Gesellen, Schulkinder und Soldaten. Denn hier konnte man nach Jahren der Flaute, seit die Schweden das Zepter übernommen hatten und zu ihrem Nutzen für Ordnung sorgten, immer etwas erleben.

Es ging auf Mittag. Tillsche hatte nur noch Reste ihrer Schellfische und ein paar Marellen in ihren Körben. Abgesehen von dem Tribut für die Klosterküche, waren die Heringe und auch die Muscheln, die Dahm aus seinen Reusen gepflückt hatte, für gutes Geld unter die Leute gebracht. Die Schar der Menschen auf dem Platz war zusammengeschrumpft.

Auch im Adelsstift näherte man sich der Essenszeit, wie aus dem über den Hof ziehenden Fischgeruch unschwer zu erschnuppern war.“

Erstmals 1974 brachte der Verlag Das Neue Berlin „Vom Himmel hoch. Utopische Lügengeschichten“ von Gerhard Branstner heraus: Das sind unglaubliche Geschichten von der Art, wie man sie sich donnerstagabends im „Wirtshaus Zum Müden Gaul“ unter Weltraumveteranen erzählt. Vier Weltraumveteranen vom Schlage Münchhausens erzählen utopische Lügengeschichten. Ihrer Erinnerungen überdrüssig, entdecken sie Wert und Vergnügen des Lügens. Das macht ihnen den Aufenthalt in einer ausgedienten Orbitalstation zur wirklichen Freude und ergibt an drei langen Abenden im Wirtshaus „Zum Müden Gaul“ zwölf Geschichten. Wirsing, Stroganoff, Fontanelli und Kraftschyk – so heißen die vier – erfinden Geschichten, die nicht stimmen, jeder, wie es Kopf, Erfahrung und Fantasie – die vor allem – ermöglichen. Das Lügnerische meint hier nicht die Verdrehung des Wirklichen, sondern Erprobung des Möglichen, und möglich scheint ihnen vieles. Zum Beispiel künstliche Zweitmenschen, die Unannehmlichkeiten des Alltags abfangen und Ruhe vor jedem Übel gönnen. Denn besagter Nothelfer geht dazwischen, wenn etwa eine Karambolage im Straßenverkehr nicht zu verhindern war, wenn es folgerichtig Protokollarisches zu verrichten gibt. Der Roboter, nach wie vor das beliebteste Requisit in der utopischen Literatur, hat es auch in manch anderer Geschichte zu fleißiger und nicht immer leicht durchschaubarer Mithilfe gebracht. Verliebt gar – und das sowohl auf dem Mond als auch auf der Erde – vermag er sich zu stellen, nein: zu verstellen. Weil Verstellung, im Lügen fantasievoll probiert und anmaßlich gegen Selbstverständliches gesetzt, das Thema dieses Buches ist. Eine Verstellung freilich, die nicht in betrügerischer Absicht, sondern im bewussten Abwägen menschlicher Möglichkeiten, wünschenswerter wie auch verlachenswerter, ihren Anlass sieht. Aber hören wir einmal kurz hinein in das Geschehen:

„Das allgemeine Gelächter half dem Automatendoktor aus der Verlegenheit. Er meckerte ein bisschen mit, setzte sich dann zurück und zupfte an seinem fuchsroten Kinnbärtchen.

„Wenn ihr gestattet“, sagte er, „so beginne ich jetzt mit meiner Geschichte. Sie heißt

Der Narr im Waisenhaus

und ist, ob ihr es glaubt oder nicht, Wort für Wort die reine Wahrheit. Es war, wenn ich mich recht erinnere, an einem trüben Wintertag. Ein Mann etwa Mitte der Vierzig, er war bis dahin als Lohnbuchhalter beschäftigt, hatte sich einen geringfügigen, jedoch ärgerlich bemerkbar machenden Gedächtnisdefekt zugezogen. Hin und wieder setzte sein Erinnerungsvermögen aus und das auf ganz unberechenbare Art und Weise. Einmal konnte er sich nicht mehr an seinen Namen erinnern, dann wieder war ihm die Adresse seiner Wohnung entfallen. Ein anderes Mal wusste er dieses, aber nicht, ob und wie viele Kinder er hatte. Nachdem er sich einige Zeit damit herumgeplagt hatte, schickte ihn der Betriebsarzt zu einem Spezialisten in eine Klinik. Auf dem Wege dahin vergaß er zwar Straße und Hausnummer der Klinik, konnte sich aber noch genau an sein Leiden erinnern. Also fragte er einen Passanten nach einer Anstalt, in der Gedächtnisstörungen behoben werden, ließ sich die Adresse auf einen Zettel schreiben und kam nun ohne weiteren Verzug am Ort seiner Bestimmung an. Allerdings hatte er, als er vom Arzt darüber befragt wurde, jetzt die Art seines Leidens völlig vergessen. Der Arzt, sein Name war Doktor Nischel, war zufrieden, entnahm er daraus doch immerhin so viel, dass der Mann bei ihm vor der rechten Schmiede war. Ohne sich des Weiteren mit Fragen aufzuhalten, schloss er den Kopf unseres Mannes an eine Vielzahl verschiedener Drähte an und wartete darauf, dass der Computer die Diagnose auswerfen würde. Der Apparat warf auch alsbald die übliche Karte aus, doch war sie zum Erstaunen Doktor Nischels so blank, wie er sie eingeworfen hatte. Der Test wurde noch einmal vorgenommen, doch das Ergebnis war das gleiche.

,Da stimmt was nicht.‘ Doktor Nischel schüttelte den Kopf. ‚Entweder hattest du im Augenblick des Tests dein volles Gedächtnis, oder der Computer ist kaputt.‘

‚Erstens‘, entgegnete der Mann, ‚erinnere ich mich seit Stunden nicht an meinen Namen, und zweitens verbitte ich mir, mich zu duzen!‘

Der Arzt schüttelte seinen Kopf noch heftiger. ,Jetzt stimmt gleich zweierlei nicht. Erstens müsste der Computer, wenn du dich tatsächlich nicht an deinen Namen erinnern kannst, diesen Defekt angezeigt haben, und zweitens hat sich hier noch keiner darüber aufgehalten, dass ich ihn duze. Ich kann mir all das nur so erklären, dass der Apparat tatsächlich kaputt ist und du außer deinem Gedächtnisdefekt noch einen anderen hast, so eine Art von Duzaversion. Aber das kriegen wir schon hin.‘

Mit diesen Worten gab der Arzt unserem Manne mit der flachen Hand einen Schlag auf den Kopf, und unser Mann gab dem Arzt eine schallende Ohrfeige.

,Das ist merkwürdig‘, sagte Doktor Nischel, indem er sich die Wange rieb, ,meinen Fernsehapparat habe ich auf die Art schon oft in Gang gebracht. Ein kurzer Schlag, und er funktionierte wieder. Ist dir dein Name eingefallen?‘

‚Nein.‘

‚Na, macht nichts, hier werden sowieso alle nummeriert. Du kriegst die Nummer 18. Und jetzt ab in die Zelle!‘

Doktor Nischel rief einen Pfleger herbei, der Nummer 18 auf ein Krankenzimmer brachte.

Der Arzt blickte seinem neuen Patienten hinterdrein und murmelte: ,Solch ein Fall ist mir noch nicht begegnet, wirklich merkwürdig.‘ Und Nummer 18 wunderte sich seinerseits über den Arzt. ,Ich habe schon immer gehört‘, sagte er zum Pfleger, ,dass Nervenärzte ein bisschen verrückt sind, aber dieser ist es ganz besonders, mich wie einen kaputten Fernsehapparat zu behandeln, wirklich merkwürdig.“

Der Pfleger blickte ihn unbewegten Gesichts an, schob ihn schweigend in ein Zimmer und schloss die Tür hinter ihm ab. Der Raum war bis auf einen Tisch und vier Stühle völlig leer. An dem Tisch aber saßen zwei Männer. Sie waren in ein Brettspiel vertieft und wandten keinen Blick davon ab. Langsam beschlich Nummer 18 ein unheimliches Gefühl.

‚Sie spielen Mühle?‘, fragte er, und seine Stimme klang etwas eigenartig.

Er erhielt keine Antwort und wiederholte seine Frage. Da die beiden auch diesmal nicht dergleichen taten, trat er zögernd näher, bis er nur noch einen Schritt vom Tisch entfernt stand. Die beiden Spieler wandten noch immer keinen Blick vom Brett. Sie schoben die Steine hin und her, machten Mühlen auf und zu, nahmen sich gegenseitig Steine weg und sagten kein Wort. Als die Partie beendet war, blickten sie auf und sagten wie aus einem Munde: Ja, wir spielen Mühle.‘

Nummer 18 fasste wieder Hoffnung. Er hatte schon befürchtet, mit zwei Taubstummen in eine Zelle gesperrt zu sein. Und wenn sie noch dazu im Kopf nicht ganz richtig waren, hätte ihn das in eine schwierige Lage gebracht.“

Und damit ist jetzt Schluss. Schluss für heute und für dieses Jahr 2020. Bleibt uns nur noch wie immer viel Vergnügen beim Leben und Lesen zu wünschen, Frohe Feiertage, einen guten Rutsch und ein gutes und gesundes, glückliches und erfolgreiches Neues Jahr 2021, in dem es hoffentlich wieder viele neue (und auch alte) Bücher sowie eine richtige Leipziger und Frankfurter Buchmesse sowie die eine oder andere literarische Entdeckung geben wird.

Bleiben auch Sie in diesen schwierigen, hoffentlich und sicherlich nicht ewig dauernden schwierigen Zeiten weiter vorsichtig, vor allem aber schön gesund und munter. Und damit endgültig Tschüss und Auf Wiederlesen – im nächsten Jahr!

Über die EDITION digital Pekrul & Sohn GbR

EDITION digital war vor 26 Jahren ursprünglich als Verlag für elektronische Publikationen gegründet worden. Inzwischen gibt der Verlag Krimis, historische Romane, Fantasy, Zeitzeugenberichte und Sachbücher (NVA-, DDR-Geschichte) sowie Kinderbücher gedruckt und als E-Book heraus. Ein weiterer Schwerpunkt sind Grafiken und Beschreibungen von historischen Handwerks- und Berufszeichen sowie Belletristik und Sachbücher über Mecklenburg-Vorpommern. Bücher ehemaliger DDR-Autoren werden als E-Book neu aufgelegt. Insgesamt umfasst das Verlagsangebot, das unter www.edition-digital.de nachzulesen ist, mehr als 1.000 Titel. E-Books sind barrierefrei und Bücher werden klimaneutral gedruckt.

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