Prof. Dr. Maria Wersig, Präsidentin des djb, erklärt: „Es ist noch Einiges zu tun, bis die Istanbul-Konvention in Deutschland vollständig umgesetzt ist und wirklich alle Frauen von den darin vorgesehenen Schutz- und Unterstützungsmaßnahmen im Fall von geschlechtsspezifischer Gewalt profitieren können.“
Die Vorsitzende der djb-Strafrechtskommission Dr. Leonie Steinl, LL.M., fügt hinzu: „Es fehlt sowohl im rechtlichen Umgang als auch in der Gesellschaft an einer hinreichenden Auseinandersetzung mit dem Thema geschlechtsspezifischer Gewalt. Das ist nicht hinnehmbar. Es bedarf eines ganzheitlichen Ansatzes, wie ihn die Istanbul-Konvention vorsieht. Gewalt gegen Frauen gehört ganz oben auf die politische Agenda. Nicht nur am 25. November.“
Nach Analyse des djb besteht noch Umsetzungsbedarf im Hinblick auf die Vorgaben aus sämtlichen Bereichen der Konvention: Dies betrifft etwa den Bereich der Prävention, insbesondere bei Partnerschaftsgewalt sowie das Recht auf umfassenden Schutz, Unterstützung und Beratung von gewaltbetroffenen Frauen und deren effektiven Zugang zum Recht. Effektiver Gewaltschutz muss insbesondere auch für Migrantinnen und geflüchtete Frauen gelten. Außerdem ist eine Schließung von gesetzlichen Schutzlücken – unter anderem im Bereich Zwangssterilisationen und psychischer Gewalt – erforderlich. Zudem besteht noch erheblicher Umsetzungsbedarf, was die Anforderungen an eine effektive, geschlechtsbewusste Strafverfolgung angeht. Um die Implementierung der Istanbul-Konvention auch strukturell zu garantieren, braucht es darüber hinaus unabhängiges Monitoring, entsprechende Forschung und umfassende Datenerhebung.
Die Istanbul-Konvention enthält einen umfassenden Begriff geschlechtsspezifischer Gewalt. Erfasst sind alle Handlungen, die zu körperlichen, sexuellen, psychischen oder wirtschaftlichen Schäden oder Leiden bei Frauen führen oder führen können, wobei die häusliche Gewalt explizit und exemplarisch genannt ist. Dem wird die rechtliche und tatsächliche Situation in Deutschland bisher nur teilweise gerecht, wie der djb in seinem Bericht erläutert. Auch das Ausmaß häuslicher Gewalt ist noch immer nicht ausreichend im gesellschaftlichen Bewusstsein verankert.
Nach der kürzlich veröffentlichten kriminalstatistischen Auswertung von Partnerschaftsgewalt für das Jahr 2019 wurden insgesamt 141.792 Menschen in Deutschland Opfer von Partnerschaftsgewalt, davon sind 81 Prozent Frauen und von diesen Frauen wurden 307 Opfer von versuchten oder vollendeten Tötungsdelikten, 107 von ihnen starben. Vor diesem Hintergrund sind die Beratungs- und Unterstützungssysteme für gewaltbetroffene Mädchen und Frauen weder ausreichend gesichert noch als staatliche Pflichtaufgaben verankert.
„All das muss sich dringend ändern! Schutz vor geschlechtsspezifischer Gewalt inklusive Prävention und Unterstützung sowie Entschädigung der Betroffenen sind kein Luxus, der in Zeiten strapazierter öffentlicher Kassen leider zurücktreten muss, sondern eine Pflichtaufgabe im jeweiligen Zuständigkeitsbereich von Bund, Ländern und Kommunen.“, resümiert Wersig.
Der Bericht ist hier abrufbar.
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