Vor 70 Jahren, am 4. November 1950, wurde die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) angenommen. Sie bildet seitdem die Grundlage des Menschenrechtsschutzes in Europa – heute für mehr als 830 Millionen Menschen in 47 Staaten.

Anlässlich dieses Jubiläums erklärte Prof. Dr. Maria Wersig, Präsidentin des Deutschen Juristinnenbundes e.V. (djb): „Das Verbot der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts in Artikel 14 EMRK war von Beginn an wesentlicher Bestandteil des europäischen Menschenrechtsschutzes. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) wandte sich gegen Geschlechterstereotype und auf ihnen beruhende Benachteiligungen von Frauen im Arbeitsleben, in Ehe und Familie, im Bereich der Sorgearbeit, beim Zugang zu Leistungen der Sozialversicherungen sowie in Fragen reproduktiver Gesundheit. Er formulierte verbindliche Maßstäbe für die staatlichen Pflichten, häusliche und andere geschlechtsspezifische Gewalt wirksam zu bekämpfen. Ein starker Gerichtshof, der Geschlechtergleichheit in allen Bereichen des Rechts garantieren kann, ist daher für Frauen unverzichtbar. Das gilt umso mehr, als wir derzeit in einigen Mitgliedstaaten der EMRK Angriffe auf fundamentale Menschenrechte von Frauen erleben, wie etwa in Polen die Verschärfung des Verbots von Schwangerschaftsabbrüchen.“

Die Vorsitzende der djb-Kommission Europa- und Völkerrecht, Prof. Dr. Ulrike Lembke, betonte: „In Deutschland gilt die Europäische Menschenrechtskonvention im Rang eines Bundesgesetzes. Sie ist von allen Gerichten und Behörden anzuwenden sowie bei der Auslegung der Grundrechte des Grundgesetzes zu berücksichtigen. Die EMRK muss daher einen größeren Stellenwert in der juristischen Aus- und Fortbildung erhalten. Dazu gehört insbesondere auch, Diskriminierung von Frauen als geschlechtsspezifische Diskriminierung zu verstehen. Wie der EGMR müssen auch deutsche Gerichte Geschlechterstereotype und Diskriminierung als Ausdruck von hierarchischen Geschlechterverhältnissen wie Mittel ihrer Aufrechterhaltung erkennen. Nur wer die Machtdimension bei Diskriminierung mitdenkt, kann auch die Diskriminierung marginalisierter Frauen wirksam angehen.“

Prof Dr. Dr. h.c. Dr. h.c. Angelika Nußberger, Richterin und Vizepräsidentin des EGMR a.D., betont in ihrem Vortrag im Rahmen der heute Abend stattfindenden online-Veranstaltung des djb zum Thema „70 Jahre Europäische Menschenrechtskonvention – 70 Jahre gleiche Menschenrechte für Frauen“ die Rolle des Gerichtshofes: „Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat die Garantien der Konvention nicht als in Stein gemeißelt, sondern als lebendiges Vermächtnis betrachtet. Auf diese Weise ist es ihm gelungen, die gesellschaftlichen Rollenverschiebungen von den 50er Jahren bis zur Gegenwart nicht nur zu begleiten, sondern auch inspirierend auf sie einzuwirken. Dies gilt gerade auch für Fragen der Geschlechtergerechtigkeit. Um seinem Auftrag zu entsprechen, nicht einen illusorischen und theoretischen, sondern einen praktischen und effektiven Schutz zu gewähren, nimmt der Gerichtshof immer auch die besondere Verletzlichkeit von Frauen in den Blick. Gerade beim Schutz vor häuslicher Gewalt ist seine Rechtsprechung wegweisend.“

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