Die Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU) und der Berufsverband für Orthopädie und Unfallchirurgie (BVOU) haben heute auf ihrer Jahrespressekonferenz Vorschläge für einen Strukturwandel der Versorgung von Erkrankungen und Verletzungen am Bewegungsapparat gemacht. Der Patient müsse durch ein flächendeckendes Versorgungsnetzwerk gezielt geleitet werden. Der Behandlungsweg führe ausgehend von einer starken ambulanten Versorgung mit niedergelassenen Fachärzten über Krankenhäuser unterschiedlicher Versorgungstufen und, falls erforderlich, Rehabilitationseinrichtungen wieder zurück zum Facharzt. Bisweilen verhindern die Sektorengrenzen eine nahtlose verzahnte Versorgung. Zudem wissen Patienten oftmals nicht, ob sie für ihre Beschwerden am Muskel-Skelett-System ambulant, im Krankenhaus oder in einem Spezialzentrum am besten aufgehoben sind. Nicht alle können alles und überall versorgen, sind sich die Experten einig. Vielmehr bräuchte es einheitlich festgelegte Qualitätsanforderungen, um zu entscheiden, von wem und wo welche Erkrankung versorgt werden darf. Der Ausbau der Versorgungsforschung würde hier helfen, um Versorgungsprozesse besser zu bewerten. Auch könnte die Digitalisierung in der Medizin einen wichtigen Beitrag leisten.

DGOU fordert bestmögliche Unterstützung für Zentren der Hochleistungsmedizin
Die Pandemie-Krise hat dem Gesundheitssystem ein hohes Maß an Kooperation und Koordination zwischen den verschiedenen Versorgungsstrukturen abverlangt. Bisher ist Deutschland im internationalen Vergleich gut durch die Krise gekommen. Mit dieser Erfahrung und vor dem Hintergrund der politischen Diskussion um den Abbau von Krankenhäusern spricht sich Prof. Dr. Dieter C. Wirtz, Präsident der DGOU und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie (DGOOC) in seinem Statement für eine ausgewogene Balance zwischen flächendeckender Grundversorgung und Spezialisierung aus. „Im Hinblick auf die zunehmend knappen Ressourcen wird eine patientenorientierte Versorgung immer wichtiger“, sagt Wirtz, Direktor der Klinik und Poliklinik für Orthopädie und Unfallchirurgie am Universitätsklinikum Bonn. Dazu bräuchte es ein abgestimmtes und stark miteinander kooperierendes Netz aus Ambulanzen mit niedergelassenen Ärzten, Kliniken der Grund-, Schwerpunkt- und Maximalversorgung und Rehabilitationseinrichtungen. „Für zeitkritische und einfache Erkrankungen ist eine wohnortnahe flächendeckende Versorgung wichtig, komplexe Fälle wie Wechseloperationen an Hüfte und Knie oder schwerwiegende Beckenbrüche gehören in ein Zentrum“, sagt Wirtz weiter. Sind die Möglichkeiten des niedergelassenen Facharztes für Orthopädie und Unfallchirurgie ausgeschöpft, gehe es weiter in ein Krankenhaus der entsprechenden Versorgungsstufe. Je höher die Stufe, desto höher die Kompetenzen. Komplexe Eingriffe müssten grundsätzlich in Zentren gebündelt werden. Dadurch könnten Komplikationen reduziert und Ressourcen in der Fläche geschont werden. „Unser Fach braucht daher aus meiner Sicht mehr Zentrumsbildung, mit klarer Definition, welche Krankheitsbilder bzw. Verletzungsmuster in welcher Klinik behandelt werden“, sagt Wirtz. Für die Übernahme des hohen Anteils komplizierter und aufwendiger Therapien müssten die Zentren dann wiederum bestmöglich personell und apparativ ausgestattet werden, fordert er. Dies könne ein Zentrumszuschlag leisten. Beispiele für eine gelungene Qualitätsstruktur sind die Zertifizierungsverfahren EndoCert der DGOOC für die Versorgung im Bereich der elektiven Endoprothetik und TraumaNetzwerk DGU® im Bereich der Unfallversorgung.

Missstand dringend beenden: Reha auch für nicht ausreichend fitte Patienten ermöglichen
Wie wichtig es ist, verschiedene Versorgungsbereiche besser miteinander zu vernetzen, erklärte beispielhaft Prof. Dr. Michael J. Raschke, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU) und stellvertretender Präsident der DGOU. In seinem Statement zeigt er auf, dass viele schwerverletzte Patienten am Übergang vom Krankenhaus in die Rehabilitation scheitern. Sie erfüllten häufig nicht die Rehabilitationsvorgaben und erhielten daher nicht die dringend notwendige Weiterbehandlung. Sie würden nach ihrer Entlassung aus dem Akutkrankenhaus nach Hause oder in die Kurzzeitpflege entlassen und fielen in das so genannte Reha-Loch, warnt Raschke. So werde wertvolles Rehabilitationspotenzial verschenkt. Nur 15 Prozent der Verletzten können direkt im Anschluss an die Krankenhausbehandlung die Rehabilitation antreten. Das liege daran, dass viele Patienten aufgrund der komplexen Mehrfachverletzungen noch pflegebedürftig seien. Eine standardisierte Reha komme für sie nicht in Frage. Daher fordert Raschke die schnelle Umsetzung eines neuen Modells zur Traumarehabilitation, wie es im Weißbuch Schwerverletztenversorgung der DGU beschrieben wird. Es ermöglicht eine frühe Rehabilitation, auch wenn der Patient noch intensiv therapiert und gepflegt werden muss.

DGOU fordert für mehr Forschungserfolg den Ausbau von klinischen Registern
Um Entscheidungen über zukünftige Versorgungsstrukturen und Qualitätsanforderungen besser treffen zu können, müssen Behandlungsprozesse besser bewertet werden. Dazu braucht es mehr Versorgungsforschung und eine deutlich breitere Datenbasis. Anhand von Daten und Fakten kann dann bewiesen werden, warum eine Mindestmenge in gewissen Bereichen, wie dem künstlichen Hüft- oder Kniegelenk, nötig ist oder ob sich eine leitliniengerechte Versorgung auf die Ergebnisqualität auswirkt. Daher spricht sich Prof. Dr. Bernd Kladny, stellvertretender DGOU-Generalsekretär und Generalsekretär der DGOOC, in seinem Statement für den Ausbau der klinischen Register aus. Derzeit gebe es 17 Register im Fach Orthopädie und Unfallchirurgie. Diese seien in der Lage, umfassende Daten aufzunehmen. Große Datenmengen seien eine Voraussetzung, um mit Methoden der Künstlichen Intelligenz (KI) die Versorgung der Patienten zu verbessern. Kostenträger und Kliniken verfügten über große Datenschätze. Doch bislang fehlten Strukturen, um große Datenmengen aus der Versorgung auch für die Versorgungsforschung routinemäßig zu nutzen. Häufig setze der Datenschutz der Gewinnung von Daten Grenzen. Aber auch die Dateneingabe sei eine Herausforderung, weil sie in vielen Fällen unverändert per Hand erfolgen muss. „Um die Register sinnvoll mit Daten zu füttern, muss der Datentransfer automatisiert werden“, sagt Kladny. Hier bedürfe es dringend einer besseren digitalen Infrastruktur.

Digitalisierung muss wieder mehr Zeit am Patienten schaffen
Der Gesetzgeber hat mit der Formulierung des Krankenhauszukunftsgesetzes (KHZG) einen Schwerpunkt auf die Digitalisierung der Krankenhäuser gelegt. „Ausgehend von einem durchaus unterschiedlichen Digitalisierungsstandard in der Krankenhauslandschaft ist diese Initiative aus der Sicht von Orthopädie und Unfallchirurgie durchweg zu begrüßen“, sagt Prof. Dr. Dietmar Pennig, Generalsekretär von DGOU und DGU. In seinem Statement weist er darauf hin, dass der administrative Aufwand sowohl in der Ärzteschaft als auch in der Pflege in erheblichem Umfang in den vergangenen Jahrzehnten zugenommen habe. Die zu implementierenden digitalen Lösungen müssten dringend auf eine Vereinfachung dieser Prozesse abzielen. Arzt- und Pflegezeit müsse als Endergebnis dieser Initiative vermehrt den Patientinnen und Patienten zugutekommen. Zudem helfe eine verbesserte Digitalisierung der Krankenhäuser der Vernetzung mit Arztpraxen und Rehakliniken. Dies sei ein notwendiger Schritt zur Stärkung des Gesundheitsstandortes Deutschland.

Entlastung der Kliniken durch ambulante Facharztversorgung
Der flächendeckende Ausbau eines qualifizierten Versorgungsnetzwerkes erfordere die erhöhte Durchlässigkeit der Sektorengrenze zwischen dem ambulanten und dem stationären Sektor. Denn die ambulante Versorgung müsse einen wesentlichen Teil der Behandlungskette abdecken und wenn erforderlich, den kontrollierten Zugang von Patienten zur klinischen Versorgung steuern. „Während der Pandemie wurde deutlich, wie wertvoll die flächendeckende ambulante Facharztversorgung in der Bundesrepublik ist. Patienten mit einem verstauchten Knöchel oder einem akuten Rückenschmerz brauchten nicht in eine Klinik zu gehen und haben dadurch keine Ressourcen blockiert. Das zeigt, wie unverzichtbar die konservative Orthopädie und Unfallchirurgie ist. Die Pandemie gibt also damit die Gelegenheit, Versorgung neu zu denken und neu zu konzipieren“, sagt Dr. Burkhard Lembeck, Facharzt für Chirurgie, für Orthopädie und Orthopädie und Unfallchirurgie, Gemeinschaftspraxis in Ostfildern im Statement. „Wir kämpfen seit Jahren für eine Aufwertung in Klinik und Praxis sowie in Aus- und Weiterbildung. Die Corona-Krise hat uns gezeigt, dass wir nicht lockerlassen dürfen. Die konservative Versorgung ist eklatant wichtig und muss weiter gestärkt werden“, sagt BVOU-Präsident Dr. Johannes Flechtenmacher. Gleichzeitig muss der Digitalisierungsschub für die Etablierung von Videosprechstunden und Apps genutzt werden, ohne auf das persönliche Vier-Augen Gespräch und auf die sorgfältige körperliche Untersuchung zu verzichten.

Zur Entwicklung neuer zukunftsfähiger Versorgungsstrukturen in Orthopädie und Unfallchirurgie stehen die Experten bereit, mit ihrer Expertise und Vorarbeit Unterstützung zu leisten.

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