„Die Chance, den Biodiversitätsverlust in der Agrarlandschaft aufzuhalten, besteht jetzt“, sagt NABU-Präsident Jörg-Andreas Krüger. „Jede und jeder Abgeordnete im Europäischen Parlament muss sich vor der Abstimmung fragen, ob sie oder er diese Chance verstreichen lassen will. Wer jetzt nicht für eine ökologische Wende im Fördersystem stimmt, macht sich mitverantwortlich für die Fortsetzung des Sterbens in unseren Agrarlandschaften und für die sich fortsetzende, ökonomische Misere vieler Höfe.“
In der kommenden Woche finden in Brüssel die entscheidenden Abstimmungen der Agrarminister und des Europäischen Parlaments über die künftige Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) bis 2027 statt. Die steuerfinanzierte GAP macht etwa die Hälfte des Einkommens der Agrarbetriebe aus und bestimmt maßgeblich, welche Art von Landwirtschaft sich ökonomisch lohnt. Am 19. oder 20. Oktober verabschiedet der EU-Agrarrat seine Position, am 20. das EU-Parlament. Anschließend werden beide Institutionen, moderiert von der Europäischen Kommission, einen Kompromiss aushandeln.
Der NABU fordert das EU-Parlament und die Institutionen dazu auf, sich gegen Vorschläge zu stemmen, die keinen deutlichen Fortschritt für den Erhalt der Biodiversität im landwirtschaftlichen Raum bringen. „Auch alle EU-Parlamentarier aus Schleswig-Holstein müssen sich für ein naturgerechtes Umsteuern in der EU-Agrarpolitik einsetzen“, so NABU-Landesgeschäftsführer Ingo Ludwichowski. „Dafür haben sich auch zahlreiche Wähler*innen in persönlichen Anrufen und per E-Mail bei ihren Vertreter*innen in Brüssel eingesetzt“.
Bei den Abstimmungen geht es unter anderem darum, wie viel Platz Agrarbetriebe der Artenvielfalt in Form von Landschaftselementen, Blühflächen oder Brachen geben müssen, wenn sie Subventionen erhalten wollen. Der NABU fordert im Einklang mit der Wissenschaft mindestens zehn Prozent nichtproduktive Flächenanteile im Acker- und Grünland. Der Vorschlag von Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner für die EU-Präsidentschaft ist dagegen mit drei bzw. fünf Prozent völlig unzureichend, zumal im letzteren Fall auf den Flächen weiterhin Produktion zugelassen werden soll. Abgestimmt wird auch darüber, wie viel Geld die Mitgliedstaaten mindestens für die Honorierung von konkreten Umweltleistungen zur Verfügung stellen müssen. Der NABU fordert, dass hierfür jeweils 50 Prozent der beiden GAP-Säulen zu reservieren sind.
Wenn ab 19. Oktober 2020 die Abstimmungen zur Gemeinsamen Agrarpolitik beginnen, wird auch der neue Bericht der Europäischen Kommission zur Lage der Natur in Europa veröffentlicht. Dieser „State of Nature Report“ basiert auf eingereichten Daten der Mitgliedsstaaten. Der NABU hat einige der bereits vorliegenden Informationen analysiert und prognostiziert, dass der Bericht erneut dramatische Zahlen zum Verschwinden der Artenvielfalt in der Agrarlandschaft enthalten wird.
„Der Agrarvogel-Index der EU bildet die Bestandsentwicklung der wichtigsten Vogelarten auf Feldern und Wiesen ab. Dieser ist zwischen 1980 und 2016 um 57 Prozent zurückgegangen, und jedes Jahr nehmen die Bestände noch weiter ab“, erklärt Lars Lachmann, NABU-Vogelschutzexperte, mit Blick auf die zu erwartenden Ergebnisse des Berichtes.
Die Situation in Deutschland unterscheide sich dabei kaum vom allgemeinen EU-Trend, so Lachmann: „Die Gesamtzahl der Agrarvögel hierzulande hat von 1980 bis 2016 um über zehn Millionen Vogelbrutpaare abgenommen.“ Auch in Deutschland hält das Verschwinden der Feldvögel immer noch an. Besonders stark betroffen sind Kiebitz und Rebhuhn. Mit 93 Prozent bzw. 91 Prozent Rückgang seit 1980 haben diese beiden Arten deutschlandweit die stärksten Verluste zu verbuchen.
Dabei ist bekannt, wie eine Trendwende bewirkt werden kann. „Damit ihre Bestände wieder ansteigen, brauchen Rebhühner und andere Feld- und Wiesenvögel vor allem zehn Prozent der jeweiligen Agrarflächen ohne Bewirtschaftung“, sagt Konstantin Kreiser, NABU-Leiter für globale und EU-Naturschutzpolitik. Nur so finden diese Vögel wieder genug Nahrung und können in Ruhe brüten. Wegen der Untätigkeit der Behörden hatte der NABU am 2. Oktober 2020 Beschwerde bei der EU-Kommission gegen Deutschland eingelegt, weil es die EU-Vogelschutzrichtlinie verletzt. „Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs könnte die nichtproduktiven Flächenanteile dann erzwingen.“
Hintergrundinfos zum „State of Nature Report“:
Alle sechs Jahre bündelt der „State of Nature Report“ die Monitoring-Daten aller EU-Länder zum Zustand von geschützten Lebensräumen und Arten, darunter auch alle wildlebenden Vogelarten. Die Bundesregierung hat als Beitrag dazu ihren Nationalen Vogelschutzbericht bereits 2019 an die EU-Kommission übermittelt. Die Daten berücksichtigen die Entwicklungen bis zum Jahr 2016.
Unsere Forderungen zur EU-Agrarpolitik: https://www.nabu.de/natur-und-landschaft/landnutzung/landwirtschaft/agrarpolitik/eu-agrarreform/index.html
Vogelmonitoring in Deutschland: https://www.bfn.de/themen/monitoring/vogelmonitoring.html
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