Im Jahr vor der Bundestagswahl 2021 sind immer weniger Menschen populistisch eingestellt. Vor allem in der politischen Mitte. Der abschwellende Populismus bringt die Populisten in die Defensive. Gleichzeitig steigen die Gefahren einer weiteren Radikalisierung am rechten Rand.

Der Trend eines zunehmend populistisch aufgeladenen Meinungsklimas in Deutschland ist gebrochen. Zeigte sich im November 2018 noch jeder dritte Wahlberechtigte populistisch eingestellt, war es im Juni 2020 nur noch jeder fünfte – ein Rückgang um mehr als ein Drittel. Gleichzeitig hat der Anteil unpopulistischer Wähler stark zugenommen. Nach 31,4 Prozent Ende 2018 war Mitte 2020 fast jeder zweite Wähler (47,1 Prozent) unpopulistisch eingestellt. Der Anteil unpopulistischer Wähler ist damit sogar um genau die Hälfte angestiegen. Das verstärkt die Eindeutigkeit des Trends: Die Zunahme des Anteils unpopulistischer Wähler ist noch einmal deutlich stärker ausgefallen als die Abnahme des Anteils populistischer Wähler.

Das geht aus der neuen Ausgabe des Populismusbarometers der Bertelsmann Stiftung und des Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) hervor. Im Auftrag der Bertelsmann Stiftung wurden dafür von YouGov Deutschland im Juni 2020 mehr als 10.000 wahlberechtigte Deutsche repräsentativ befragt. Seit März 2017 ist das bereits die fünfte Datenerhebung im Rahmen des Populismusbarometers. Als populistisch eingestellt gelten Befragte, die sich gleichzeitig zu acht typisch populistischen Einstellungen in den Dimensionen Antipluralismus, Anti-Establishment und Volkshomogenität bekennen.

Nicht erst seit Corona: Trendumkehr bereits im Jahr 2019

Der Rückgang populistischer Einstellungen setzte bereits 2019 ein und damit lange vor Ausbruch der COVID-19-Pandemie. Der bisherige Höhepunkt der populistischen Welle in Deutschland war Ende 2018 erreicht. Bis Ende 2019 lag der Anteil der Populisten bereits deutlich niedriger und der Anteil der Nicht-Populisten deutlich höher. Die Trendwende setzte sich mit Ausbruch der Corona-Krise im März 2020 weiter fort. „Das gestiegene Vertrauen in die Regierungsarbeit im Verlauf der Corona-Krise hat diese Trendumkehr stabilisiert und leicht verstärkt, aber nicht ausgelöst“, erläutert Robert Vehrkamp, Demokratieexperte der Bertelsmann Stiftung und Mitautor der Studie. „Die liberale Demokratie hat die populistische Mobilisie­rung mit einer demokratischen Gegenmobilisierung beantwortet – auch und gerade in der politischen Mitte“, so Vehrkamp weiter.

Abschwellender Populismus der politischen Mitte

Auffällig ist, dass der antipopulistische Wandel überdurchschnittlich stark aus der politischen Mitte gestützt und getrieben wird. Noch im Populismusbarometer 2018 hatte diese Wählerschaft die größte Zunahme an populistischen Einstellungen verzeichnet. Nun aber ist der Anteil an unpopulistischen Wählern in der politischen Mitte sogar noch einmal deutlich stärker gestiegen als im Durchschnitt aller Wahlberechtigten. „Insbesondere die politische Mitte erweist sich in der Auseinandersetzung mit der populistischen Versuchung als lernfähig und robust und damit als wichtigste Stütze des Meinungsumschwungs“, betont Vehrkamp.

Etabliertes Parteiensystem zunehmend populismusresistent

Das zeigt auch die Analyse in Bezug auf die Wähler der Parteien in der politischen Mitte. Ihr Populismus ist nach Umfang und Intensität stark zurückgegangen. Ein weiteres Abgleiten der Unionsparteien und der FDP ins populistische Wählersegment ist damit vorerst gestoppt. „Die Versuchung der beiden bürgerlichen Parteien, dem Populismus der AfD zu folgen, ihn nachzuahmen oder sich zumindest rhetorisch ihm anzupassen, verliert damit seinen elektoralen Anreiz“, sagt Wolfgang Merkel, Demokratieforscher am WZB und Mitautor der Studie. Ähnliches gilt für die SPD, und in der linksliberalen Mitte verteidigen die Grünen erneut ihren Markenkern als am wenigsten populismusanfällige Partei. Insgesamt zeigt sich die Parteienlandschaft in Deutschland damit im Jahr vor der Bundestagswahl 2021 deutlich populismusresistenter als vor und nach der Bundestagswahl 2017.

AfD: Zunehmende Dominanz rechtsextremer Einstellungen

Extremer Ausreißer in der deutschen Parteienland­schaft bleibt auch im Jahr 2020 die AfD. "Aus der rechtspopulistischen Mobilisierungsbewegung wird eine zunehmend von rechtsextremen Einstellungen dominierte Wählerpartei", sagt Wolfgang Merkel. Fast drei Viertel (73 Prozent) aller AfD-Wähler sind ent­weder klar populistisch (38 Prozent) oder zumindest teils/teils populistisch (35 Prozent) eingestellt. Gleichzeitig ist eine deutliche Mehrheit (56 Prozent) aller AfD-Wähler entweder latent rechtsextrem (27 Prozent) oder sogar manifest rechtsextrem (29 Prozent) eingestellt. Der Anteil unpopulistischer und zugleich nicht rechtsextrem eingestellter Wähler liegt bei der AfD bei lediglich 13 Prozent. Fast neun von zehn AfD-Wählern (87 Prozent) vertreten also entweder sehr deutlich oder zumindest latent populistische und/oder rechtsextreme Einstellungen.

Zusatzinformationen

Im Rahmen ihres Gemeinschaftsprojekts "Demokratiemonitor" haben die Bertelsmann Stiftung und das WZB die Umfragen gemeinsam analysiert und ausgewertet. Das Kriterium für Populisten ist im Populismusbarometer vergleichsweise streng formuliert: Nur wer allen der insgesamt acht verschiedenen Populismusitems zustimmt, gilt als populistisch eingestellt. Die Auswahl der Umfrageitems entspricht dem Stand der international vergleichenden empirischen Populismusforschung.

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