Das Textil hat dem Text seinen Namen gegeben. Text und Textil haben den gleichen lateinischen Wortursprung „Textus“. Die deutsche Übersetzung lautet „Gewebe“, im übertragenen Sinne auch „Zusammenhang“. Schriftzüge finden sich an unterschiedlichsten Stellen von Kleidern, Hosen, Mänteln und Shirts. Mal können die Lettern auf Brust oder Rücken nicht groß genug sein, mal verschwinden sie fast im Musterrapport, mal schlingen sie sich so um den Körper, dass der Inhalt rätselhaft bleibt. Manche Informationen sind dezent im Inneren der Kleidung angebracht. Bisweilen werden Buchstaben durch ein anderes Zeichensystem ersetzt, das nur Eingeweihten verständlich ist. Die Verwendung von Schrift auf der Außenseite von Kleidung entsteht erst mit der Popkultur der 1960er Jahre, etwa auf Papierkleidern, diesen Mischwesen von Plakat und Kleid. Im zeitgenössischen Modedesign sendet insbesondere die „Antwerpener Schule“ um Walter Van Beirendonck Textnachrichten. Dafür kommen unterschiedlichste Techniken zum Einsatz: Jacquardweberei, Bandagenstrickerei, Stickerei und Laserschnitt.
Wortspiel
Sprachspiele machen neugierig und geben Rätsel auf. Sie sind manchmal schwer zu entziffern, können elaboriert oder banal sein. Diese Gruppe vereint Kleidungsstücke mit Texten, die zwischen Provokation (fuck) und Hochkultur (Proust) changieren, zwischen Death Punk-Lyrics und Gekritzel. Der Textinhalt steht mal im Kontrast zu Form und Funktion des Kleidungsstückes, mal interpretiert er sie, mal erscheint die Beziehung neutral. Im Bandagenkleid verschmelzen Text und Textil fast vollständig: Das Schriftband ist das Kleidungsstück. Und wohl nicht zufällig überwiegt in dieser Gruppe schwarz und weiß, unseren Lesegewohnheiten entsprechend. Auf dem Mantel wird in großen handgeschriebenen Lettern ein Stück Weltliteratur zitiert: Die berühmte Madeleine-Episode aus „In Swanns Welt“ (1913) aus dem Zyklus „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“. Der Name des Autors Marcel Proust (1871–1922) findet sich versteckt auf der Rückseite. Und ganz in dessen Sinne animieren die fragmentierten Wörter und Sätze den Betrachtenden zu einer Suche nach Erinnerung. Die Druckbuchstaben und Daten beziehen sich auf wichtige Stationen im Leben des Schriftstellers: Geburtstag, Bekanntschaft mit Robert de Montesquiou, erste Publikation.
Markenbildung
Wie wird aus einem No-Name-Produkt ein Objekt der Begierde? Durch Kennzeichnung wird Design mit Bedeutung aufgeladen. Marken helfen bei der Orientierung und können ein Qualitätsmerkmal sein. Vor allem aber vermitteln sie Botschaften, die eng mit den Ideen und Werten des Labels verknüpft sind. Die Sprachmittel sind dabei divers: Von Entwürfen, die plakativ mit Markennamen versehen werden, zu dezenteren Erkennungszeichen, vom Logo bis zum auf ein Minimum reduzierte Chiffre. Monogramme und personalisierte Etiketten, die Informationen wie den Namen von Träger*innen und das Herstellungsdatum enthalten, spannen einen Erzählfaden. Charles Frederick Worth (1825–1895) gilt als eine der wichtigsten Figuren der Modegeschichte des 19. Jahrhunderts: Er revolutioniert die Modeproduktion, indem er Modelle statt individueller Kleider entwirft und sie mit einem Etikett versieht, das seine Unterschrift trägt. Mit dieser Neuerung erhebt er sich in den Rang eines Künstlers. So avanciert er vom Schneider zum Modeschöpfer mit signiertem Autoren-Modedesign. In den späten 1980er Jahren lanciert der belgische Modedesigner Martin Margiela (*1957) das nach ihm benannte Label Maison Martin Margiela, das die Autorenschaft subtil nach Außen kehrt. Die vier weißen Stiche, die das Label im Inneren befestigen, werden außen zum Code für Eingeweihte.
Schrift als Gestaltungselement
Schrift ist ein zentraler Bestandteil der Sprache, sie bewahrt und vermittelt Inhalte. Auch die Typographie, also die Art der Schrift, transportiert zusätzliche Botschaften: fett gedruckt oder kursiv, schwungvoll und dynamisch, verspielt oder streng – die Wahl der Form kann Assoziationen und Gefühle auslösen. Das Spiel mit unterschiedlichen Schriftarten und Sprachen wird zum dezidierten Gestaltungsmittel in der Mode. Schrift wird auf unterschiedlichste Weise hergestellt. Sie wird gedruckt, gewebt, gesprüht, gemalt, appliziert oder mittels eines Lasercuts ausgeführt. Neben der Formsprache des Kleidungsstücks, ist es auch die Wahl der Typografie, die „spricht“. So auch bei dem Papierkleid des Time Magazins von 1967, das als Abonnement-Beilage zum Valentinstag mit der druckfrischen Zeitschrift versendet worden ist. Die Anordnung des Schriftzugs verweist auf die populäre Op-Art: Was zunächst als schwarz-weißes Muster erscheint, wird beim genauerem Hinsehen zum Magazintitel. Das Spiel mit der optischen Täuschung offenbart die Werbebotschaft erst auf den zweiten Blick. Das Kleid wird zum modischen Werbeträger.
Botschaft
Die Beispiele zeigen Kleidungsstücke mit – im weitesten Sinne – politischen oder gesellschaftskritischen Botschaften. Besonders gut eignen sich die unstrukturierten Flächen von T-Shirts zur Verbreitung kurzer Slogans, fallen sie doch meist auf Augenhöhe besonders ins Auge. Die Künstler*innen und Designer*innen reflektieren Themen wie den Vietnamkrieg und den Terror der 2010er Jahre, betreiben aber auch Konsum- und Selbstkritik. Einzig die abgetragene Jeans trägt die individuellen, selbst gestalteten Bekundungen ihres früheren Besitzers. Hussein Chalayans (*1970) „Airmail Dress“ hat die Nachricht selbst zum Thema. Es ist Kleidungsstück und Briefpapier in einem, die handgeschriebene Botschaft steht jedoch noch aus. Der Brief als Bindeglied zwischen Sender und Empfänger steht hier für den kommunikativen Aspekt von Mode. Aufgedruckt auf das papierähnliche Material vermischen sich Schnittmuster-Markierungen und kurze Anweisungen zum Beschreiben und Zusammenfalten des „Luftpostbriefes“.
Der Ausstellungstitel Die Sprache der Mode ist eine Referenz an den französischen Philosophen Roland Barthes (1915–1980) und sein wegweisendes Werk zu Mode- und Sprachtheorie „Systèmes de la Mode“, Paris 1967. Alle ausgestellten Objekte stammen aus der Modesammlung des MK&G, teilweise sind sie Dauerleihgaben der Stiftung Hamburger Kunstsammlungen.
DESIGNER*INNEN & KÜNSTLER*INNEN
Walter Van Beirendonck (1957) / Jean-Charles de Castelbajac (1949) / Gabrielle "Coco" Chanel (1883-1971) / Andre Courrèges (1923–2016) / Xavier Delcour (1970) / Dolce & Gabbana / Tom Ford (1961) / Jean-Paul Gaultier (1952) / Edda Gimnes (1991) / Harry Gordon (1930–2007) / Devon Halfnight Leflufy (1984) / Karl Lagerfeld (1933-2019) / Claus Leddin (1924) / Martin Margiela (1957) / Flora Miranda Seierl (1990) / Moschino (von Rosella Jardini (1952) / Sibling (Cozette McCreery, Sid Bryan und Joe Bates) / Raf Simons (1968) / Sterling Ruby (1972) / Charles Frederick Worth (1825–1895) oder Jean-Philippe Worth (1856–1926)
Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg
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