Sind Könige eigentlich glücklich? Was meinen Sie? Eine Antwort auf diese Frage präsentiert, zumindest was den späteren Friedrich den Großen betrifft, das zweite der insgesamt fünf Angebote, die wie immer eine Woche lang zum Sonderpreis im E-Book-Shop www.edition-digital.de (Freitag, 18.09.20 – Freitag, 25.09. 20) zu haben sind. Die Antwort gibt Hans Bentzien und fast kann man sie schon im Titel seines Buches ablesen: „Nur in Rheinsberg bin ich glücklich gewesen. Kronprinz Friedrich in Küstrin, Ruppin und Rheinsberg“. Aber dieses lesenswerte Buch bietet noch viel mehr Interessantes und Wissenswertes über die Kindheit und Jugend dieses berühmten glücklich-unglücklichen Königs.

Signale, helle Textsplitter, kurze Wortmeldungen aus seinem Literatur-Atelier hat Wolfgang Held in „Flugfunken. Prosa für Minuten-Leser“ gesammelt.

Ebenfalls von Wolfgang Held stammt das Kinderbuch „Hilfe, ein Wildschwein kommt“ für Leser von 10 Jahren an.

Der Schatz der Smaragdenbienen“ – so lautet der Titel des dritten Bandes der Bachnow-Reihe von Aljonna und Klaus Möckel.

Und damit sind wir wieder beim aktuellen Beitrag der Rubrik Fridays for Future angelangt. Jede Woche wird an dieser Stelle jeweils ein Buch vorgestellt, das im weitesten Sinne mit den Themen Klima, Umwelt und Frieden zu tun hat – also mit den ganz großen Themen der Erde und dieser Zeit. Und da hat die Literatur schon immer ein gewichtiges Wort mitzureden und heute erst recht. Das heute vorgestellte Buch setzt gewissermaßen das im Newsletter der vergangenen Woche vorgestellte Buch fort. Wieder geht es um das Thema Toleranz. Und es geht um ein spezielles Stück DDR-Kulturpolitik, zeigt das heutige Angebot doch, wie schwierig es damals war, dieses Thema in die öffentliche Diskussion zu bringen und welche Hindernisse der Autor zu überwinden hatte. Es zeugt aber auch, dass es nach der Wende und unter den veränderten gesellschaftlichen Verhältnissen nicht unbedingt einfacher geworden ist. Selbst in der Rückschau bleibt die Toleranz auf der Strecke. Und man darf sich nach 30 Jahren Deutscher Einheit schon mal fragen, ob Ost und West denn nun tatsächlich schon miteinander leben oder doch eher nebeneinander? Und auch dieses Thema ist eines, das jene weder einfach zu definierende, noch einfach zu realisierende Haltung verlangt – Toleranz eben.

Erstmals 2010 erschien im BS-Verlag Rostock veröffentlichte „Last und liebes Kummerfeld. Das Buch zur Geschichte eines unvergessenen Spielfilms sowie der nicht veröffentlichte zweite Teil“ von Wolfgang Held: Als der später auf der Berlinale ausgezeichnete Film „Einer trage des anderen Last“ Anfang 1988 in die Kinos kam, fand er in der DDR ein Millionenpublikum. Er wurde in Ost und West als ein Plädoyer für Toleranz verstanden. In diesem Buch beschreibt Wolfgang Held den schweren Weg über DDR-Kultur-Hürden, bis dieser Film endlich gedreht werden durfte. Und die weltweite Anerkennung des Drehbuchs und des Films. Eine literarische Skizze über Josef Heiliger und Pater Blasius, die als Fortsetzung nach „Einer trage des anderen Last“ wieder ein Spielfilm werden sollte, füllt den zweiten Teil des Buches. Für dieses Sujet aus der DDR-Geschichte, realistisch, ohne einseitige Idealisierung oder Verteufelung, fand sich leider, damit auch dem Zeitgeist verbunden, kein marktwirtschaftlich orientierter finanzkräftiger Produzent. Fast am Anfang des spannenden Buches werden wir Zeugen einer bemerkenswerten Zusammenkunft und Diskussion. Ein Autor wird in die Mangel genommen. Mit dem im Text erwähnten „Hohen Haus“ war übrigens das Zentralkomitee der SED gemeint:

„Die auf der anderen Seite des Tisches sind zu viert. Hochkarätig. Die füllige Vorsitzende der Staatlichen Filmkommission, ein Doktor der Kulturwissenschaft aus dem Ministerium, ein Doktor aus dem Institut Marxismus-Leninismus, ein Genosse aus der Kulturabteilung des „Hohen Hauses“ und von dort noch ein Genosse vom Spezialgebiet Kirchenfragen.

„Ich begrüße euch, liebe Genossen“, sagt die Vorsitzende und lächelt. Sie erinnert mich an die brave, ältliche Dame, die hin und wieder zu Hause vor der Kreissparkasse im Namen des Heilands mit der Sammelbüchse klappert, in Demut das ungeliebte Werk verrichtend, mit der erforderlichen Seelenstärke allein ausgerüstet mit dem Vertrauen auf künftigen Lohn in Form göttlichen Wohlwollens. Auch jene liebe Frau dort umhüllte ihre Miene, der Vorsitzenden gleich, dienstbar mit Freundlichkeit. Nur die Frisur der Genossin da vorn ist anders. Sie sollte am Hinterkopf eigentlich auch einen Knoten tragen, so eine Art Würdeknolle.

„Wir sind hier zusammengekommen, um über das Filmbuch unseres Freundes zu beraten“, erklärt sie munter und segnet mich mit einem kurzen, tröstenden Blick. „Selbstverständlich haben wir uns alle gründlich mit deinem Werk befasst.“

„Und dies mit großem Vergnügen!“, wirft der Kulturgenosse aus dem „Hohen Haus“ ein. Er ist jung und sportlich. Seine Lederjacke sieht aus, als sei sie schon beim Bau der Stalin-Allee dabei gewesen. Mit seinen bis zu den Schultern wallenden Locken wäre er vermutlich in der Provinz kaum ohne Schwierigkeiten an der Einlasskontrolle einer SED-Kreisleitung vorbeigekommen. Sein Zwischenruf verwirrt die Vorsitzende. Sie gerät ins Stocken. Offenkundig passt eine derart wohlwollende Bemerkung nicht in ihr Konzept. Sie schaut ratlos in die Runde. Der Doktor aus dem Kulturministerium gibt ihr eilig ein Zeichen. Er senkt die Lider und schüttelt sanft, sehr sanft den Kopf. Sofort bekommt das Marzipangesicht der Vorsitzenden wieder Wärme.

„Sehr richtig, mit Vergnügen. Das kann man ohne Übertreibung sagen. Gerade deshalb ist ja unsere Beratung von grundsätzlicher, ich möchte sogar behaupten, von ausschlaggebender Frage.“ Sie legt eine kleine Pause ein. Ich fühle mich plötzlich von Blicken umzingelt. Auch der DEFA-Pontifex und Hasenbart mustern mich, als habe in meiner Brust etwas laut zu ticken begonnen. Unwillkürlich wird mir zumute, als sei ich ahnungslos und reinen Gewissens einer bösen Tat schuldig geworden. Nun rede doch endlich weiter, denke ich. Zeig sie her, deine ausschlaggebende Frage!

Unsere Blicke treffen sich. Ihre Stimme wird mild, beinah voll mütterlicher Güte.

„Wir möchten gern von dir hören, weshalb du diese Geschichte gerade jetzt vorlegst.“

Und nun Stille.

Man kann durch die Wand das Klappern einer Schreibmaschine im Nebenzimmer hören. Mir wachsen zwei schräge Falten über der Nasenwurzel. Meine Familie und die Freunde kennen dieses Grollsignal. Wie denn? Was denn? Soll das die Frage gewesen sein, die wichtige, die ausschlaggebende?

„Weshalb kommst du gerade in dieser Zeit damit?“, wiederholt der Doktor aus dem Ministerium und lauert hinter einer unsichtbaren Lanzenspitze.

Ich zwinge mich zu einem tiefen Atemzug. Das Weltall ist unendlich, meditiere ich gegen mein inneres Zittern an. Und in dieser Unendlichkeit ziehen auf unerforschten Bahnen Galaxien aus Milliarden Sternen. Und eine davon ist die Milchstraße mit wer-weiß-wie-vielen Sonnensystemen. Dazwischen, winzig klein, das unsrige. Mit einem Krümel, das wir Erde nennen. Und so weiter, und so weiter – Na also!

„Die Antwort ist nicht einfach“, erwidere ich in so eroberter Gelassenheit. „Ihr könnt mir gewiss dabei helfen.“

„Deshalb sind wir hier“, bemerkt der Doktor von der politischen Fakultät fast fröhlich.

Ich nicke dankbar. „Schön! Bitte erklärt mir erst einmal, weshalb ich meine Geschichte gerade jetzt nicht vorlegen sollte. Sagt’s mir, bitte!“

Pontifex und Hasenbart senken die Marmorstirnen. Ihnen liegt wohl daran, ihr Grinsen zu verbergen.

Die Vorsitzende drückt die Schultern zurück und bringt ihren reichlich bestückten Busen in Gefechtsstellung. Der Ministeriumsdoktor fixiert gespannt die beiden Funktionäre aus dem „Hohen Haus“. Auch der Doktor von der politischen Fakultät beobachtet die zwei Genossen neugierig. Die beiden spüren unter den Blicken die dringende Aufforderung, nun konkret zu werden. Sie schauen einander an. Willst du? Soll ich?

„Ich dann!“, entscheidet der Kulturgenosse.

„Einverstanden“, meint der Kirchengenosse. Es klingt nicht sonderlich zufrieden. Er ist um die Vierzig und wirkt wie einer, der eine Menge von Pferden und Kühen und Landwirtschaft überhaupt versteht. Den Hemdkragen trägt er offen. Er blickt mir ins Gesicht.“ Und damit zu den ausführlicheren Vorstellungen der anderen vier Sonderangeboten dieses Newsletters.

Erstmals 2001 veröffentlichte Hans Bentzien im Westkreuz-Verlag Berlin/Bonn „Nur in Rheinsberg bin ich glücklich gewesen. Kronprinz Friedrich in Küstrin, Ruppin und Rheinsberg“: In vielen Veröffentlichungen über Friedrich II. von Preußen wird die Rheinsberger Zeit, vom Kauf des Schlosses 1734 bis zur Thronbesteigung 1740, als freiheitliches Idyll im ansonsten plagenreichen Leben Friedrichs dargestellt. Kurz vor seinem Tod sprach er den bekannten Satz: „Das Unglück hat mich immer verfolgt. Ich bin nur in Rheinsberg glücklich gewesen.“ Überschaut man sein hartes Leben, immer im Widerspruch, immer im Streit mit seiner Umwelt oder sie mit ihm, immer gezwungen, listenreich bis zur Selbstaufgabe sich schließlich behaupten zu müssen, ohne glückliches Familienleben, geplagt von schweren Krankheiten, dann leuchten die Rheinsberger Jahre in der Tat als eine fröhliche und unbeschwerte Zeit hervor. Doch wie erklären sich die Jahre der „Rheinsberger Republik“, wie sie ein französischer Historiker längst vor der erneuten Preußendebatte unserer Jahre nennt. Eine Republik mitten im Absolutismus? Hier ein Ausschnitt, in dem wir einen Eindruck von der damaligen Stadt und vom damaligen Schloss Rheinsberg gewinnen können:

Ankunft eines Gastes

Ein lebendiges Bild, wenn auch voller galanter Komplimente und Schönfärbereien, erhalten wir von einem Zeitgenossen, der in den Kreis der Freunde aufgenommen wurde. Ein junger, gerade zwanzigjähriger Mann aus einer hamburgischen Kaufmannsfamilie, Jakob Friedrich Bielfeld, kam auf Einladung des Kronprinzen an den Hof. Sie waren sich 1738 in Braunschweig begegnet, als Friedrich in den Freimaurerbund aufgenommen wurde, Bielfeld assistierte dabei. Geschmack und Bildung mögen der Grund gewesen sein, den jungen Mann auch später mit Staatsaufgaben zu beauftragen. Im Herbst 1739 kam er im Schloss an, seine. Beschreibung ist daher trotz ihrer Überschwänglichkeiten als authentisch anzusehen:

„Rheinsberg ist ein sehr freundliches Städtchen, obwohl in der unfruchtbarsten Sandgegend an der mecklenburgischen Grenze gelegen. Es zählt etwa 1000 Einwohner und gehörte früher einem französischen Edelmann, einem Refugie (Einwanderer). Der König hat es angekauft und hat es seinem Sohne, dem Kronprinzen geschenkt, nebst dem Schloss, den Gärten, den Wäldern und einigen zugehörigen Feldern. Das Schloss war sehr verfallen und die Gärten fast gar nicht vorhanden, als der Kronprinz dies Geschenk erhielt, das für ihn um so wertvoller ist, als sein Regiment in Ruppin steht, das nur zwei deutsche Meilen von hier entfernt ist, und die Garnisonen hierzulande nie wechseln. Auch die Lage des Schlosses ist sehr schön. Ein großer See bespült beinahe seine Grundmauern, und jenseits dieses Sees steigt ein sehr schöner Eichen- und Buchenwald amphitheatralisch auf.

Das alte Gebäude bildete nur einen Hauptbau mit dem Flügel, den ein alter Turm abschloss. Dies Gebäude und diese Lage genügten dem Kronprinzen, um seinen Geist und Geschmack zu entfalten, und dem Freiherrn von Knobelsdorff, dem Bauintendanten, um seine Begabung als Baumeister zu zeigen. Das Hauptgebäude wurde ausgebessert und außen durch gewölbte Fenster, Statuen und sehr elegante Ornamente verschönert. Ein zweiter Flügel wurde angebaut, ähnlich wie der schon stehende, und an seinem Ende ein Turm als Gegenstück zu dem alten errichtet. Beide Türme wurden durch eine doppelte Säulenstellung verbunden, deren Plattform eine mit Vasen und Kindergruppen geschmückte Verbindungsgalerie darstellte. Durch diese Anordnung bildet das ganze Gebäude jetzt ein völliges Viereck.

Man betritt das Schloss auf einer mit Statuen geschmückten Brücke; die Statuen stellen die sieben Planeten dar und halten in ihrer Hand je eine Laterne in Kugelform, In den Innenhof gelangt man durch ein schönes Portal, über dem man ein großes Schild mit der folgenden Inschrift sieht, die Herr von Knobelsdorff hat einmeißeln lassen- Friderico tranquiliitatem colenti (Friedrichs feierliche Stille). Das Innere dieses Schlosses ist noch hervorragender als das Äußere, sowohl durch seine Schönheit und die Anordnung der Zimmer wie durch den Geschmack und den Reichtum der Möbel. Wohin man auch blickt, überall sieht man nur Bildhauerei und Vergoldung, jedoch sind alle Ornamente geschmackvoll und mit Maß angebracht, und ihre Zeichnung ist herrlich. Da der Kronprinz nur zarte Farben liebt, sind mehrere Zimmer in Leingrau, Seladonblau und Fleischfarbe ausgestattet, die Einrahmungen und Ornamente in Silber. Das alles ist von reizender Mannigfaltigkeit und gibt dem Schloss ein ebenso heiteres wie galantes Aussehen.“

Erstmals 2013 veröffentlichte Wolfgang Held wiederum im BS-Verlag Rostock „Flugfunken. Prosa für Minuten-Leser“. In seinem Geleitwort zu seinem Buch schreibt der Autor: Ihre Bahn ist kurz, winzig das Leuchten und nicht von Dauer. Gestresste, geistige Dickbrettbohrer, Schlagzeilengläubige und Fans von Events der höheren Steuerklassen haben weder Auge noch Sinn für eine derart flüchtige Erscheinung, an denen nicht einmal die Provinzpresse bis hinab zu den Lokalsendern Interesse zeigen, ganz zu schweigen davon, dass kein ernsthafter Wissenschaftler auf den Gedanken gekommen wäre, sich mit dieser Erscheinung zu beschäftigen. Also absolut bedeutungslos? Total im Null? Wahrscheinlich wäre das der Fall, gäbe es da nicht die Träumer, die Kinder, eine unüberschaubar weit verstreute Schar derer, die fähig und geübt geblieben sind im Entdecken des fein verborgenen Reizvollen. Sie verstehen die flinken Lichtpünktchen als Signale, helle Textsplitter, kurze Wortmeldungen aus meinem Literatur-Atelier. Texte, die ich „Flugfunken“ nenne, wohl nicht ausreichend gewichtig, um bibliothekarisch in die Listen langlebiger Belletristik aufgenommen zu werden. Nein, es ist Besinnliches oder Heiteres vom Rand der Festplatte her zusammengeweht in dieser schmalen Herausgabe für Leseminuten auf der Reise, zur Nacht vorm Einschlafen, zur Erinnerung an dieses oder jenes bereits Vergessene … Also finde nun jeder reichlich das ihm Gemäße! Und hier ein Beispiel solcher Art „Flugfunken“, das von Ungewöhnlich-Alltäglichem zu Zeiten der frühen DDR handelt:

Die Stunden der Führungsroller

Es passierte Mitte der 60er Jahre, genauer an einem Freitag. Nach der Zusammenkunft der Mitglieder und Kandidaten des Politbüros der SED in Berlin und der darauf stattgefundenen Beratung aller Sekretäre der SED-Bezirksleitung tagte das gewählte Gremium des Büros der SED-Kreisleitung. Jeden Freitag. Bei jedem Wetter. Unentschuldigtes Fehlen wurde nie gewagt. Schließlich ging es hier ganz aktuell um die führende Rolle in der Stadt. Das Rollen währte Stunden. Ob in Wirtschaft oder Kultur, im sozialen oder sportlichen Bereich, alles musste hin und her, hoch und herunter durchgerollt werden, bevor Maßnahmen beschlossen und an Oberbürgermeister, Stadträte und Abgeordnete zur Ausführung „durchgestellt“ wurden. Befehlsähnlich. Das waren immerhin ernsteste Angelegenheiten. Jedenfalls kommunal bewertet. Lautloses Kichern, versteckt hinter streng-ernsten Mienen, blieb dabei, weil existenzgefährdend, persönliche Geheimsache. So zum Beispiel die Angelegenheit mit dem Klopapier.

Das für Handel und Versorgung zuständige Büromitglied meldete an jenem Freitagvormittag zum Tagesordnungspunkt Bevölkerungsbedarf, dass kilometerweit im Stadt- und Landkreis in allen einschlägigen Verkaufsobjekten schon seit einer Woche kein Klopapier mehr angeboten werden könne. Nicht eine einzige Rolle! Nicht einmal hinten herum als Bückware für bevorzugte Kundschaft. Rollen weder in der üblichen Sandpapier ähnlichen Qualität noch zwei- oder sogar dreilagige Importware.

Die drei Örtlichkeiten hier im Haus können, freilich nur streng für den Dienstgebrauch, höchsten noch zwei, drei Tage bestückt werden. Der Karton mit ein paar Rollen sei als Freundschaftsdienst aus dem Haus der sowjetischen Offiziere ausgeliehen worden.

Also, nun muss etwas geschehen, alarmierte Genosse Handel und Versorgung. Unbedingt! Schon aus Gründen des internationalen Ansehens hinsichtlich der Touristen! Zumal in einer Kulturstadt! Goethe, Schiller, Herder, Wieland, aber kein Papier zum Arschabwischen! Wo leben wir denn?! Munition für den Klassenfeind ist das, Genossen! Die Sache ist sowohl von politischer als auch kultureller, womöglich sogar militärischer und nicht zuletzt auch von hygienischer Bedeutung. Andere Meinungen? Keine?

Also Lösung des Problems! Und wie, Genossen? Macht Vorschläge!

Der für Gesundheitswesen zuständige Sekretär erinnerte vorsichtig an längst vergangene Zeiten. Weltwirtschaftskrise vor Dreiunddreißig, Nachkriegsjahre 1945 und später, heute noch hier und da üblich nahe von Rastplätzen an der Autobahn, bei jugendlichen Campern und in ländlichen Gegenden oder so.

Damals, in der Hunger- und Aufbauzeit hingen beinah im Klosett einer jeden bewohnbaren Unterkunft handlich geschnittene Zeitungsblätter am Strick in Reichweite der Bedürftigen. Und an Zeitungen fehlt es auch heutzutage nicht im Revier! Für Nichtbezieher könnte man ja die Jungen Pioniere zu Extrasammlungen einsetzen. Manches für rückwärtige Dienste Wischgeeignete ließe sich gewiss auch bei den Sammelstellen beim Altpapier finden und herausholen …

Denkpause im Kreis der führenden Roller!

Stille.

Minutenlang.

Endlich da und dort vorsichtiges Nicken.

Nicht sehr hautfreundlich, die Methode, aber eine Lösung, murmelte endlich der 1. Kreissekretär.

Zögerliche Zustimmung, langsam anschwellend, doch dann lauter heftiger Widerspruch. Der Kulturgenosse erhob sich dafür sogar, was in den Freitagssitzungen beim Rollen ganz und gar unüblich war.

Unsere Zeitungen handlich zerschneiden und dann nach dem Stuhlgang … Ein Blatt vielleicht mit dem Bild unseres Generalsekretärs? Unseres Staatsratsvorsitzenden? Die Veröffentlichung von Beschlüssen unseres Zentralkomitees oder unserer Regierung …? Genossen, das wäre die vulgäre Konterrevolution! So niemals! Weg mit dieser ganz im Sinne des Wortes Scheißidee!

Und der Kulturgenosse setzte sich wieder, holte sein Taschentuch hervor, wischte hektisch nasse Stirn und feuchte Lippen.

Nun betretenes Schweigen. Unübliches intensives Nachdenken. Zwei, drei Minuten.

Endlich, ganz, ganz leise, der Hinweis des Genossen Inneres. Man könne sich bei der Auswahl von Zetteln für den Klostrick doch allein auch auf Unpolitisches beschränken, oder?

Der Protestierer Kultur schoss erneut in die Höhe, noch einmal nur für kurze scharfe Sätze: In unserem Staat gibt es nichts Unpolitisches in der Presse! Die Zeitung: politischer Agitator, Propagandist und Organisator. Lenin! Vergessen, Genossen?

Ringsum nickende Köpfe. Ausnahmslos. Lauernde Blicke in Richtung Kreisvorsitzender. Der sieht aus, als wolle er pfeifen. Alle im offenen Viereck wissen, was nun kommt. Der Chef setzt zu seinem Lieblingswort an: Das schnurpst so nicht, Genossen!

Zwei Minuten später liegt zur Klopapierfrage der einstimmige Beschluss des Büros der Kreisleitung vor: Entscheidungen von derartig wichtiger politischer Tragweite müssen auf einer höhere Ebene der führenden Rolle getroffen werden!

Schwierigkeiten wie Mangel an Klopapier gehörten in jener Zeit zu den so genannten Engpässen, mit denen die Bürger wesentlich häufiger als mit Reisepässen Bekanntschaft machen konnten.

Auch der über Stadt und Kreis wie eine der Gemeinheiten des Klassenfeindes herabgestürzte Engpass Saatkartoffeln passt in dieses Kapitel.

Diesmal hatte der Sekretär für Landwirtschaftliches das Problem auf die Tagesordnung gepflanzt. Das passierte ebenfalls in einem Frühjahr der 60er Jahre und im gleichen Büro, erneut beim „historischen Rollen der Führung“.

Diesmal alarmierte der junge, gerade erst der Bezirksparteischule entkommene Genosse die Büromitglieder hinsichtlich einer den Bürgerinnen und Bürgern womöglich in Perspektive drohenden ganz und gar unsozialistischen Ernährungskrise. Nämlich, weil: Den Landwirtschaftlichen Genossenschaften im weiten Umkreis fehlten Saatkartoffeln! Und selbst agronomischen Dünnbohrern im Geiste dürfte dämmern, dass es ohne Aussaat keine Ernte geben konnte. Und ohne Kartoffelernte, nur mal als Beispiel, weder Salz- noch Pell- noch Bratkartoffeln. Irgendeiner in der Runde murmelte etwas von rohen Klößen und Sonntagen ohne Größe, doch der führende Roller Abteilung Landwirtschaft war mit seiner Philippika noch nicht beim letzten Satz: Also, Genossen, höchste Alarmstufe! Denkt an das Wort eines unserer großen Dichter: Zuerst kommt das Fressen, und dann die Moral nebst anderen wichtigen Sachen! Eine Lösung muss her!

Kurzes Überlegen reichte der Runde. Der Sekretär für Maximus-Leninismus oder korrekt: Agitation und Propaganda, schlug vor, einen Brief an den übergeordneten Ersten Sekretär der Bezirksleitung zu schicken. Inhalt: Bitten um sozialistische Hilfe aus Regionen, in denen noch genügend Saatkartoffeln vorhanden sind. Vielleicht bei den Fischköppen in und um Rostock herum.

Alle Hände hoch: Beifall einstimmig!

Der Landwirtschaftler sollte formulieren. Also hob er zum Mitschreiben für die Protokollgenossin an:

Lieber Genosse Erster Sekretär, wir bitten Dich in schwieriger Lage um Hilfe bei der Beschaffung dringend benötigter Saatkar…

Weiter kam er nicht! Der Kreisoberste schnitt ihm scharf und ärgerlich das Wort ab. In derartig kläglichem Jammerton könne man doch kein Schreiben an den Bezirksersten beginnen. An den Beginn gehörte zuerst einmal Geleistetes! Die kreislichen Errungenschaften, Genossen! Erfolge, klar?! Also, Sekretär Wirtschaft, wie sieht es aus mit Erfolgen?

Der Aufgeforderte kramte in seinen Zetteln, nickte dabei fortwährend und zählte dann Zahlen auf. Prozente, sämtlich mehr als hundert.

Der Genosse Wohnungsbau folgte mit übererfüllten Plansummen, der Kulturbereich meldete aus dem letzten Quartal wachsende Besucherzahlen im Theater und sogar im Kino, trotz Woche der sowjetischen Revolutionsfilme, und aus HO sowie Konsum konnte von steigenden Umsätzen berichtet werden.

Der Text für den beabsichtigten Brief füllte schnell fünf Seiten.

Nachdem er dabei eine Weile auf seinem Stuhl hin und her gerutscht war, hob der Landwirtschaftssekretär einen Zeigefinger und wagte den Hinweis auf fehlende Saatkartoffeln und die ursächliche, mit dem Brief verbundene Absicht.

In das eintretende Schweigen hinein erhob sich der Kreissekretär. Er tat das langsam. Stumm. Gespannt wie zum Sprung. Sein Blick strafte den Einwerfer. Die Stimme blieb leise, sehr leise, doch gerade das machte jedes Wort zum Stachel.

So doch nicht, Genossen! Nach einer Liste stolzester kommunaler Siege am Ende die Meldung eines ganz erbärmlichen Versagens in einer banalen Kartoffelsache? Das ist nicht nur peinlich, Genossen, das ist jämmerlich geflenntes Eingeständnis eigener Unfähigkeit! Also, wir beschließen: Der Brief wird, wie er jetzt ist, als Erfolgsbilanz außer der Reihe abgeschickt! Jemand dagegen? Damit ins Protokoll, Hilde: Einstimmig!

Nun raffte der im Kreis führende Landwirtschaftsroller seinen Mut zusammen und wagte vernehmlicher eine Bemerkung: Und was ist mit den fehlenden Saatkartoffeln?

Hier und da Stirnrunzeln. Schließlich ärgerliche Frage des Ersten: Herrgott noch mal – tatsächlich: Herrgott! – irgendwer im Kreis wird doch noch Kartoffeln im Keller haben, oder? Wie ein Jubelruf Antwort vom Wirtschaftssekretär: Im VEB Maschinenbau! Speisekartoffeln! Tonnen bester Qualität! Für die Werkküche! Vorrat für Monate bis zur neuen Ernte!

Der Erste streckte, freudig wie der Papst zum „urbi et orbi“ auf dem Balkon, beide Hände in Kopfhöhe: Die Lösung, Genossen! Raus mit den Kartoffeln in die Landwirtschaft! Ab sofort als Saatgut! Angeordnet und beschlossen! Und die Betriebsküche im Maschinenbau kocht nun ausnahmsweise mal ein zwei, drei Monate als Werkessen Makkaroni, Graupen, Reis, Gries, Haferflocken, klar?! Reichlich Braten dazu, Gulasch, Hühnchen – keiner soll Grund zum Meckern haben!

Und so geschah es. Und niemand im Maschinenbau maulte wegen des Kartoffelmangels.

Im Gegenteil! Die beachtlichen Fleischbeilagen begeisterten! Der Ärger setzte erst nach der neuen Ernte und mit der Rückkehr zu Kartoffeln mit Ei und Senfsoße, 150 Gramm Bratwurst oder spärlich gefüllter Kohlroulade ein. In der Fleischzeit, so wurde erzählt, habe es dagegen sogar bei mehreren Werksangehörigen sichtbare Gewichtszunahmen gegeben.“

Für Leser von 10 Jahren an bestimmt war „Hilfe, ein Wildschwein kommt“ auch von Wolfgang Held, das der Kinderbuchverlag Berlin erstmals 1963 herausbrachte: Löffel und Volker, junge Pioniere von der Station Junger Naturforscher, bringen während der Sommerferien ein ganzes Städtchen durcheinander. Aus Übermut lassen sie das zahme Wildschwein Maxi, das auf der Station gehegt und gepflegt wird, aus seinem Gatter heraus. Die Sache wird schlimmer, als es sich die Jungen vorgestellt hatten. Was alles geschieht, bis das Wildschwein wieder eingefangen wird, ist sehr lustig zu lesen. Und so beginnt die Geschichte, in der zumindest zu Beginn auch ein wenig Freude an Autorität und Aufsichtsgewalt gegenüber anderen Menschen zu spüren ist. Stichwort Stationspolizei. Und wir bemerken außerdem, dass dem Autor ein Wort offenbar besonders gut gefällt – schnurpsen:

1. Kapitel

Löffel war wütend. „Lahm!“, sagte er griesgrämig und schnurpste weiter an dem grasgrünen Apfel. Er saß an den Stamm eines Baumes gelehnt, die Knie fast bis ans Kinn gezogen und mit einem Gesicht wie ein Bäcker, dem das Brot im Ofen verbrannt ist. Finster schaute er hinüber zu den Tiergehegen der Station Junger Naturforscher. Zierliche Pekingenten putzten dort am Ufer eines kleinen, künstlich angelegten Teiches gelangweilt ihr Gefieder, ein Pfau stolzierte bedächtig in dem großen Flugkäfig umher und äugte erhaben zu dem unansehnlichen Waldkäuzchen hin, das schläfrig auf seiner Stange hockte. Maxi, das zahme Wildschwein, ließ sich faul die warme Vormittagssonne auf das borstige Fell scheinen und grunzte im Schlummer behaglich, als träume es von saftigen Rüben, knackfrischen Eicheln und anderen Wildschweinleckereien. Im Gehege der Fuchsfamilie regte sich nichts. Meister Reineke hatte mit seinem Anhang die kühle Erdwohnung der Julihitze vorgezogen. Was gab es denn auch schon in der Station zu sehen an diesem stillen Sonnabendvormittag? Die Mädchen und Jungen der Ferienspiele waren heute in aller Frühe aufgebrochen, um den Genossenschaftsbauern der nahen LPG „Frohe Zukunft“ einen Besuch zu machen. Zurückgeblieben waren nur Herr Karst, der Stationsleiter, und die Lagerwache.

Lagerwache! Löffel hätte das Wort an diesem Tag nicht über seine Lippen gebracht, so ärgerte er sich. Da hatte er nun gemeinsam mit seinem Freund Volker tagelang ungeduldig die Stunden gezählt bis zu dem Augenblick, da ihnen die roten Armbinden überreicht wurden, und nun das! Es war zum Ziegelsteine knabbern!

Sie hatten nachts von ihrer Lagerwache geträumt, der Löffel und sein Freund Volker. Das war doch etwas: Mit der roten Binde am Arm in der Station umherspazieren, das Füttern beaufsichtigen und das Revierreinigen, das Signal zum Essen geben und zur Mittagsruhe, kurzum: Die Polizei der Station sein. So eine Lagerwache wie wir beide soll die Station noch nicht erlebt haben, das hatten sie sich vorgenommen. Nicht die kleinste Ordnungssünde soll uns entgehen! Keinen Mucks werden wir während der Mittagsruhe zulassen! Kein Tröpfchen und kein Krümelchen auf den Tischen wird dem Küchendienst verziehen! Wenn wir beide Lagerwache haben, herrscht Disziplin! Wir werden streng sein, passt mal auf!

Und nun war das alles ein Wunschtraum geblieben. Sie trugen wohl die roten Armbinden, aber es gab in der ganzen Station niemanden, an dem sie ihre Aufsichtsgewalt ausüben konnten. Kein einziger Junge, der wegen einer Balgerei zu ermahnen gewesen wäre. Kein Mädchen, das sie wegen einer unordentlich zusammengelegten Schlafdecke hätten rügen können. Nicht mal Besucher ließen sich blicken, die man stolz und sachverständig durch den kleinen Tierpark führen konnte. Was war das also schon für eine Lagerwache? In Löffels Sprachschatz gab es dafür nur ein Wort.

Er sagte es immer, wenn er seiner tiefsten Geringschätzung Ausdruck geben wollte: Lahm!“

Unter dem gemeinsamen Pseudonym „Nikolai Bachnow“ veröffentlichten Aljonna und Klaus Möckel erstmals 1998 bei der Leipziger LeiV Buchhandels- und Verlagsanstalt Band 3 ihrer Nikolai-Bachnow-BücherDer Schatz der Smaragdenbienen“: Spannende Ereignisse und aufregende Abenteuer zeichnen diesen dritten Band der Möckelschen Reihe aus, mit der sie an die bekannte Reihe des Russen Alexander Wolkow anschließen. Das hängt mit einem Schatz zusammen, der, tief in den Wäldern des Zauberlandes verborgen, vom Volk der Smaragdenbienen bewacht wird. Sollte der Schatz verlorengehen, muss das Bienenvolk sterben. Die Großohr-Brüder, so genannt, weil der eine rechts, der andere links einen riesigen Hörlöffel besitzt, brechen in den Urwald auf, um den Schatz zu rauben. Trotz heftiger Schlappen beim Zusammentreffen mit schlagkräftigen Bäumen, gläsernen Fischen, angriffslustigen Affen und der gewitzten Spinne Minni, gelangen sie ans Ziel. Die Bienen mit ihrer Königin, einer Fee, wehren sich zwar, sind aber bald dem Tod nahe. Nur einen Aufschub können sie noch erreichen. Die Autoren ziehen alle Register, um die Urwüchsigkeit und Schönheit des Dschungels für ihre Darstellung zu nutzen. Da sich die Spitzbuben bei ihrem Raubzug auf den Weisen Scheuch berufen, hat dieser doppelten Grund, mit seinen Freunden, dem Löwen, dem Holzfäller, Prinzessin Betty, Jessica und dem Elefanten Dickhaut, den Bienen zu Hilfe zu eilen. Eine waghalsige Ballonfahrt, Begegnungen mit einem Irrwisch, mit Schattenraben und dem Nebelungeheuer führen zu überraschenden Zwischenfällen, und so steht die Rettung der prächtigen Bienen bis zuletzt auf der Kippe. „Bachnow erzeugt die kribbelnde Spannung eines Goldsucher-Abenteuers und beweist ein ums andere Mal, wie viele Ideen in ihm stecken“, schrieb die Rezensentin Karolin Kullmann über dieses Buch der Autoren. „Endlich befindet man sich wieder in Gefilden, die nicht mehr futuristisch oder abstrakt anmuten“, fügte sie hinzu. Hier ein spannender Ausschnitt:

Die Trompetenschlucht

Nach einer Weile erreichten sie die Schlucht, die Bill erwähnt hatte. Sie zog sich eng und düster zwischen kantigen Felswänden dahin.

„Nicht gerade gemütlich hier“, murrte Joe, „da drin gibt es gewiss wilde Tiere.“

Bills Hand ging zur Axt:

„Wir können uns ja verteidigen. Im übrigen bleibt uns keine Wahl. Um die Felsen herumzulaufen, würde viel zu viel Zeit kosten.“

„Wenigstens ist es hier unten schattig“, erklärte Joe und wischte sich den Schweiß von der Stirn.

Sie umgingen einen Granitblock, der schwarz vor ihnen aufragte, und drangen in die Schlucht ein. An knorrigen Bäumen hingen kürbisartige Früchte. Joe griff nach einer und riss sie ab, um sie auf ihre Essbarkeit zu prüfen. Doch urplötzlich packte ihn eine harte hölzerne Hand am Kragen und hob ihn in die Höhe. Wie eine Fliege im Netz zappelte der jüngere der Großohr-Brüder mit den Beinen in der Luft.

„Was ist das?“, rief er erschrocken.

„Der Baum hat dich mit seinen Ästen gepackt“, Bill stand vor Staunen und Schreck der Mund offen.

„Was hältst du da unten Maulaffen feil“, rief Joe wütend, „hilf mir lieber!“

Bill zog die Axt aus dem Gürtel und rannte zu seinem Bruder. Er wollte auf die Zweige über seinem Kopf einschlagen, doch bevor er noch dazu kam, erhielt er von einem anderen Ast eine Ohrfeige, die ihn ins Moos schleuderte.

Bill sprang auf, wurde jedoch erneut niedergeworfen. Er hatte keine Chance. Endlich begriff er:

„Das sind Zauberbäume“, schrie er. „So ähnlich wie im Kupferwald. Denen darf man nichts wegnehmen. Lass endlich den Kürbis los.“

Tatsächlich hielt Joe noch immer die Frucht in den Händen. Er klammerte sich regelrecht daran fest. Nun ließ er sie fallen und sofort gab auch der Baum sein Opfer frei.

Joe plumpste wie ein Sack zur Erde, rappelte sich aber schnell wieder auf und rief:

„Das ist ja kreuzgefährlich. Komm bloß weg hier.“

Auch Bill war inzwischen aufgestanden. Er tastete vorsichtig seinen Kopf ab, zum Glück schien alles in Ordnung zu sein. Lediglich ein paar Striemen auf der Wange brannten wie Feuer.

„Nur keine Panik“, brummte er. „Wenn man diese Bäume in Ruhe lässt, tun sie einem nichts, da bin ich mir sicher.“

„Ich ganz und gar nicht. Wer weiß, was hier noch für Überraschungen auf uns lauern. Wir sollten lieber umkehren.“ Joe wollte sofort den Rückzug antreten, doch sein Bruder hielt ihn mit eiserner Faust fest.

„Hiergeblieben. Willst du den Schatz oder nicht? Wer wird sich denn gleich beim ersten Hindernis in die Hose machen?“

„Ich gebe nicht auf“, verteidigte sich Joe. „Wir laufen außen um diese Schlucht herum. Auf eine Stunde mehr oder weniger kommt es nicht an.“

„Das ist mit ein, zwei Stunden nicht getan. Einauge ist damals auch durch die Schlucht gegangen und der war allein. Los jetzt, sei nicht so eine Memme.“

Bill ließ den Bruder los und stapfte weiter. Nach kurzem Zögern folgte ihm Joe. Er wollte auf keinen Fall allein zurückbleiben.

Die Bäume standen nun ganz dicht, verhielten sich aber ruhig. Auch sonst passierte nichts mehr. Am Boden allerdings zeigten sich immer öfter Wasserlachen. Er war schwammig und schwankte.

Eine große Kröte platschte neben ihnen ins Wasser, ein schwarzer Vogel huschte mit keckerndem Gelächter durchs Gebüsch. Bill fuhr zusammen und achtete einen Augenblick lang nicht auf seinen Schritt. Er rutschte aus, stolperte und geriet bis zu den Knien in ein Schlammloch. Fluchend kroch er aus dem Morast.

„Hier ist kein Weiterkommen“, schimpfte er nun selbst. „Versuchen wir es näher an der Felswand. Dort scheint es trockener zu sein.“

An der Felswand versperrte ihnen Dornengestrüpp den Weg, doch dann fanden sie einen von Tieren getretenen Pfad, der in Windungen nach oben führte.

Sie quälten sich mit ihrem Gepäck hinauf und als sich das Dach der Bäume dunkelgrün unter ihnen ausbreitete, sagte Joe zufrieden:

„Jetzt können sie uns mal, diese Biester.“

Da erschallte weiter vorn unvermutet ein Trompetenstoß.

Die Brüder erstarrten. Obwohl das Signal noch immer als Echo von den Felswänden widerhallte, sagte Joe:

„Hast du das gehört?"

„Natürlich. Ich bin doch nicht taub.“

„Da ist jemand in der Schlucht, er bläst Trompete“, stammelte Joe.

Als sollten seine Worte bestätigt werden, schmetterte der Bläser erneut los: Tätä, tätärätä, tä! In das Signal aber fiel diesmal ein zweites Instrument ein: Tätätätä, tätütä und ein drittes blies: Tätä, tütü, tätätä!

Die Brüder standen wie festgenagelt.

„Das ist nicht bloß eine Trompete“, murmelte Bill, „das sind drei oder vier.“

„Ein ganzes Orchester“, ergänzte Joe. „Wie kommen die hierher? Da glaubt man sich allein in dieser verlassenen Gegend und dann so was.“

Immer mehr Trompeten ertönten: helle, dunkle, schrille und gedämpfte. Zu entdecken waren die Bläser allerdings nicht.

„Ob die uns sehen können?“, fragte Joe.

„Keine Ahnung. Verstecken wir uns vorsichtshalber dort hinter dem Felsvorsprung.“

Ein kleines Plateau mit einem Granitblock bot ihnen Deckung und sie spähten nach unten.

„Vielleicht wollen sie uns warnen und den Schatz selber heben“, sagte Joe.

Bill schüttelte den Kopf.

„Das glaubst du doch selber nicht. Dann würden sie bestimmt kein solches Konzert veranstalten. Nein, da steckt etwas anderes dahinter. Ich möchte bloß wissen, was.“

Überraschend, wie die Trompeten zu blasen angefangen hatten, verstummten sie wieder. Die Brüder warteten noch ein Weilchen, dann kamen sie hinter ihrem Stein hervor. Der Pfad führte jetzt steil nach unten und sie starrten misstrauisch ins Baum- und Pflanzengewirr. Immer wieder Ausschau haltend, näherten sie sich Schritt für Schritt einer Biegung. Schließlich befanden sie sich auf einer baumlosen, mit hohem Farnkraut bestandenen Ebene.

Die Farne besaßen große, zu Trichtern geformte Blüten und nun wurde auch klar, wer hier Trompete gespielt hatte. Als wären die beiden Männer erwartet worden, begann das Konzert erneut. Eine lila Blüte fing damit an und blaue, rote, weiße Kelche stimmten ein. Eine rosa Trichterblume schmetterte ihren Fanfarenstoß so laut in Joes linkes Riesenohr, dass er sich vor Schreck auf den Hosenboden setzte. Der Kopf tat ihm weh von diesem Gedröhn.

Dennoch waren die beiden froh, dass sich das Geheimnis auf so natürliche Weise lüftete, und Bill begann sogar zu lachen, was ihm höchst selten passierte. Freilich kam sein Gelächter etwas zu früh. Plötzlich war ein Brausen in der Luft und ganze Wolken von Schmetterlingen senkten sich, die Sonne verdunkelnd, auf die Ebene herab.

Die Schmetterlinge waren wunderbar bunt und viel größer als gewöhnlich. Offenbar von den Trompetenklängen angelockt, stürzten sie sich in Scharen auf die Blüten. Dabei wirbelten sie derart durcheinander, erzeugten ein solches Gesumme und Gesirre, dass sie fast die Trompeten überstimmten. Bill und Joe waren im Nu von ihnen eingehüllt, erstickten nahezu. Sie bekamen die weichen Flügel ins Gesicht, die Fühler in die Augen und die kleineren Exemplare krochen ihnen in den Mund, vor allem aber in die großen Ohren. Hustend und wild um sich schlagend, gelang es ihnen schließlich, ihre Hauben überzustülpen. Dann hockten sie sich halb ohnmächtig auf den Boden und warteten ab.

Nach einer Weile kehrte wieder Ruhe ein. Bill bemerkte, dass die Schmetterlinge alle in die Blüten gekrochen waren. Einer mit leuchtend roten Punkten auf den Flügeln verließ seinen Trichter schon wieder und taumelte trunken davon.

Joe hob seine Haube an und spuckte angeekelt einen kleinen Falter aus.

„Was für ein Viehzeug“, schimpfte er, „sie hätten mich fast umgebracht. Sie haben sich auf uns gestürzt, als wären wir mit Honig bekleckert.“

„Sie haben sich nicht auf uns gestürzt – wir sind ihnen in die Quere gekommen“, sagte Bill. „Wir sollten uns beeilen und diesen Ort verlassen. Die Farne locken die Riesenfalter anscheinend durch ihre Musik an. Die Insekten dürfen sich mit Nektar vollsaugen und nehmen dafür den Blütenstaub für andere Pflanzen mit. Ich vermute, dass in Kürze der nächste Schwarm eintrifft.“

Joe raffte sein Gepäck zusammen:

„Bloß das nicht wieder“, murrte er und setzte sich in Trab.

Im Laufschritt durcheilten sie die Ebene, die sich zum Glück nicht weit dehnte. Manchmal wuchsen die Farne vereinzelt, manchmal aber auch so dicht, dass sich die beiden mit der Axt einen Weg bahnen mussten. Dann flatterten die Schmetterlinge erschreckt auf und um ihre Köpfe herum.

„Dass ich die Gitterhauben einmal gegen Schmetterlinge einsetzen würde, hätte ich nicht gedacht“, brummte Bill.

Sie hatten fast das Ende der Ebene erreicht, als die Farne erneut zu trompeten begannen. Diesmal näherte sich ihnen eine grünlich schimmernde Wolke, von der ein helles Sirren ausging. Joe sagte erstaunt:

„Das sind aber ganz andere Schmetterlinge.“ Er wollte die Haube abnehmen, um besser sehen zu können, doch sein Bruder hinderte ihn daran.

„Lass das Ding auf, das sind keine Schmetterlinge. Gleich wird unsere Kleidung eine erste Bewährungsprobe bestehen müssen.“

Inzwischen war der Schwarm heran und Joe begriff. Bei diesen ungewöhnlich großen Insekten handelte es sich um Bienen. Sie sahen prächtig aus, ihr ganzer Körper war von grünlich schimmerndem Smaragdenstaub bedeckt. Ihre Augen waren goldgelb und der starke Stachel samtig braun.

„Sind das etwa die …“, flüsterte Joe beeindruckt und fast ehrfurchtsvoll.

„Die Smaragdenbienen? Ich hab noch keine gesehen, aber es wäre durchaus möglich. Schau nur, wie groß sie sind.“

„Glücklicherweise nicht so groß wie die Schmetterlinge“, sagte Joe.

Sie duckten sich, doch die Bienen beachteten sie gar nicht. Während die letzten Falter davonflatterten, verteilten sie sich auf die Trompetenblüten. Gespannt beobachteten die Großohr-Brüder, wie die Bienen nun ihrerseits in die Trichter krochen. Das Fanfarengedröhn hörte sofort auf.

„Sie haben zwar lange Stachel, sehen aber alles in allem gar nicht so gefährlich aus“, sagte Joe nun. „Kaum zu glauben, dass die einen Schatz bewachen sollen.“

„Einauge hatte jedenfalls großen Respekt vor ihnen.“

Die Bienen beschäftigten sich ausgiebig mit dem Blütennektar und die Brüder verließen die Ebene. Kurz darauf hatten sie das Ende der Schlucht erreicht.

„Wenn wir am Ziel angelangt sind, müssen wir vielleicht nur so lange warten, bis die Smaragdenbienen ausschwärmen“, überlegte Joe.

Sein Bruder zuckte die Schultern.

„Das wird sich herausstellen“, erwiderte er.

Na und vielleicht haben Sie auch Lust, sich in den Zauber-Dschungel zu begeben und die Abenteuer um den Schatz der Smaragdenbienen und seine Rettung zu verfolgen. Spannung jedenfalls ist bis zur letzten Zeile dieses Buches garantiert. Lassen Sie sich also verzaubern! Und das soll es dann für heute auch schon gewesen sein.

Viel Vergnügen bei der Suche nach den Smaragdenbienen und ihrem Schatz sowie beim Lesen der anderen Bücher, weiter eine gute Spätsommerzeit, bleiben Sie weiter gesund und vorsichtig und bis demnächst. Dann haben wir allerdings schon fast Herbst, Lese-Herbst …

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