Am Montagabend wurden nicht nur eine Frau und ihr Kind von einem Raser am Ku’damm schwer verletzt. Auch in der Warschauer Straße in Friedrichshain wurde eine Radfahrerin schwer verletzt, als sich drei Motorradfahrer dort ein Rennen lieferten. Changing Cities und ADFC Berlin fordern, dass Fahrstreifen und Kreuzungen nach motorisierter Gewalt aus Gründen der Gefahrenabwehr sofort stillgelegt werden, bis die Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer*innen an der gegebenen Stelle gewährleistet ist. 

Vor acht Tagen forderten die Verbände einen Paradigmenwechsel im Bereich Verkehrssicherheit:, nachdem vier ungeschützte Verkehrsteilnehmer*innen innerhalb einer Woche getötet worden waren. Sie riefen den Regierenden Bürgermeister Michael Müller, den für die Sicherheit in der Stadt verantwortlichen Innensenator Andreas Geisel und die Verkehrssenatorin Regine Günther auf, konkrete Sofortmaßnahmen zur Reduktion der Verkehrsunfälle zu ergreifen. Auf eine Antwort warten sie bis heute.

„Wir brauchen dringend ein neues Bewusstsein beim Thema Verkehrssicherheit. Ein Vorfall mit Getöteten oder Schwerverletzten wird nur im Straßenverkehr als Unfall verharmlost und geht meist als leicht bestraftes Kavaliersdelikt durch. An dieser Stelle unterstützen wir die Forderung des  Unfallforschers Siegfried Brockmann, den Kurfürstendamm für den Autoverkehr zu sperren und nur den Bussonderfahrstreifen zu belassen. Jedes Mal, wenn Menschen im Straßenverkehr getötet oder schwer verletzt werden, muss die Straße oder die Kreuzung gesperrt werden, bis die Ermittlungen abgeschlossen und die entsprechenden infrastrukturellen Verbesserungen umgesetzt sind. Ein solches Vorgehen würde ein klares Signal an alle Bürger*innen senden: Wir nehmen keine Verkehrstoten mehr hin!“, sagt Ragnhild Sørensen von Changing Cities. 

Darüber hinaus galt schon immer: Nur mit konsequenter Kontrolle, Sanktionierung und Strafverfolgung wird man das Problem der motorisierten Gewalt in den Griff bekommen. In Berlin findet dies nur in sehr begrenztem Maße statt: Der Tagesspiegel meldet heute, dass nur 20 von 33 stationären Blitzanlagen in der Stadt in Betrieb sind; Rechtsabbiegen wird einmal im Jahr eine Woche lang an ausgewählten Kreuzungen kontrolliert; für Raser*innen vor Schulen und Kitas gibt es lediglich ab und an eine Schwerpunktwoche, die auch noch angekündigt wird – und die dennoch jedes Mal das katastrophale Ausmaß an gefährlichen Regelverstößen verdeutlicht.

„Das Erreichen der gesetzlich vorgeschriebenen Vision Zero, null Verkehrstote und Schwerverletzte, lässt sich nicht mit Absichtserklärungen und Bedauern herbeiführen. Wir brauchen ein geschlossenes, gemeinsames Vorgehen des Berliner Senats, um das Töten auf Berliner Straßen zu beenden. Dafür haben wir konkrete umsetzbare Vorschläge gemacht“, kommentiert Frank Masurat, Vorstand des ADFC Berlin. 

Vorschläge von Changing Cities und ADFC Berlin zu kurzfristigen Maßnahmen zur Reduktion der Verkehrsunfälle in Berlin: 

  1. Einrichtung einer Task Force „Verkehrssicherheit“ durch den Regierenden Bürgermeister. Deren Aufgaben sollen sein:
    >> Sichere Gestaltung einer definierten Anzahl von Kreuzungen (getrennte Signalisierung für Rad- und Fußverkehr einerseits und Kfz-Verkehr andererseits)
    >> Knotenpunkte, an denen sich in den vergangenen 2 Jahren Lkw-Unfälle mit Schwerverletzten oder Getöteten ereigneten, erhalten sofort getrennte Signalisierung. Bis zur Umgestaltung soll ein Rechtsabbiegeverbot eingeführt und konsequent überwacht werden.
    >> Sofortiger Rückbau von zweistreifigen Abbiegern, sofern keine getrennte Signalisierung für ungeschützte Verkehrsteilnehmende implementiert ist.
    >> Sofortiger Wegfall von Überholspuren auf Hauptverkehrsstraßen der 2. und 3. Ordnung (rot und grün auf der Karte); Einstreifigkeit führt zu regelmäßigerem Verkehrsfluss und reduziert somit das Unfallrisiko. Die freiwerdende Spur soll dem Rad- und öffentlichen Nahverkehr sowie für  Lieferzonen zur Verfügung gestellt werden.
    >> Ausweitung von Tempo 30 (z. B. zeitliche Begrenzung aufheben) und konsequente, kontinuierliche Kontrolle
  2. Neues Paradigma: Unfallstellen, an denen die Infrastruktur einen Unfall maßgeblich mitverursacht hat, dürfen nicht wieder „in Betrieb“ gehen (Sperrung der Kreuzung, Rechtsabbiegeverbot o. ä., bis die Unfallstelle sicherer gestaltet wurde). Hierzu müssen auch ad hoc Anordnungen getroffen werden können, deren Einhaltung unverzüglich und kontinuierlich polizeilich überwacht werden muss.  
  3. Quantifizierung der Vision-Zero-Ziele. Welche Maßnahmen müssen an welchen Orten in welchem Zeitraum ausgeführt werden, damit die Zahl der Verkehrstoten zurückgeht? Ohne eine solche überprüfbare Zielbeschreibung wird die Erreichung von Vision Zero dem Zufall überlassen. 
  4. Konsequentes Ermitteln nach Unfällen mit Schwerverletzten oder Getöteten durch die Staatsanwaltschaft: sofortige Überprüfung von Fahrer*in auf Fahrtauglichkeit am Unfallort (Gesundheitszustand, berauschende Substanzen, Medikamenteneinfluss, Sehhilfen), sofortige Überprüfung des Fahrzeugs und von Kommunikationsgeräten (Handy-/Navibedienung). Bei beruflich tätigen Kraftfahrer*innen ebenfalls komplette Überprüfung des Betriebs: Dienstpläne, Sicherheitsmanagement, Fahrtenschreiber, Wartungsintervalle, Dokumentationspflichten, Buchhaltung, Sorgfaltspflichten der Arbeitgeber*innen usw., gegebenenfalls zeitweise Stilllegung des Betriebs, wie es bei sicherheitsrelevanten Betriebsunfällen durchaus üblich ist.

Über den Changing Cities e.V.

Wir fördern zivilgesellschaftliches Engagement für lebenswertere Städte. Das bislang größte Projekt von Changing Cities e.V. ist der Volksentscheid Fahrrad in Berlin, mit dem es 2016 gelang, die Berliner Verkehrspolitik zu drehen und das bundesweit erste Mobilitätsgesetz anzustoßen. Changing Cities e.V. unterstützt landes- und bundesweit Bürger*inneninitiativen, die sich im Bereich nachhaltige Verkehrswende und lebenswerte Städte einsetzen, mit Kampagnenwissen oder stößt solche Initiativen an. Changing Cities ist als gemeinnützig anerkannt.

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