Die Aufnahme von Flüchtlingen in ostdeutschen Gemeinden führte dort nicht zu einem veränderten Wahlverhalten oder zu veränderten Einstellungen zu Migration. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie von Max Schaub (WZB), Johanna Gereke (MZES) und Delia Baldassarri (New York University). In den mehr als 200 untersuchten ostdeutschen Gemeinden seien ablehnende Einstellungen zur Migration zwar weit verbreitet. Der Zuzug von Flüchtlingen direkt vor Ort hätte diese Einstellungen aber fast nicht beeinflusst.

„Die weit verbreiteten Vorbehalte gegen Migration scheinen sich also weniger auf die Situation vor Ort, als vielmehr auf die Auswirkung von Migration auf die Gesellschaft als Ganzes zu beziehen“, erklärt Max Schaub, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB).

236 ostdeutsche Gemeinden mit und ohne Flüchtlinge

Für ihre Untersuchung haben die Sozialwissenschaftler*innen 236 Gemeinden in Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Thüringen und Sachsen analysiert, in denen vor der sogenannten Flüchtlingskrise 2015 nur relativ wenige Ausländer lebten, nämlich weniger als 1,5 Prozent der Gesamtbevölkerung. Ausländerfeindliche Einstellungen waren in allen ausgewählten Gemeinden weit verbreitet. Nur in der Hälfte dieser ansonsten vergleichbaren Gemeinden waren ab 2015 Migranten und Migrantinnen untergebracht worden. So konnten die Forscher vergleichen, wie sich Einstellungen und Verhalten in den Gemeinden mit und ohne Zuwanderung entwickelten. Neben einer Analyse der lokalen Wahlergebnisse zwischen 2013 und 2017 führten die Wissenschaftler auch umfangreiche Befragungen von über 1.300 Personen in diesen Gemeinden durch.

Persönliche Erfahrungen mit Geflüchteten scheinen nicht ausschlaggebend zu sein

„Unser Ziel war herauszufinden, ob sich die Einstellungen und das Verhalten der Einheimischen gegenüber Zugewanderten verändern, wenn diese direkt vor Ort zusammenleben. Neben steigender Fremdenfeindlichkeit wäre auch denkbar gewesen, dass der direkte Kontakt zu positiveren Einstellungen gegenüber Fremden führt“, erläutert Johanna Gereke vom Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung (MZES). Beides war nicht der Fall. Persönliche Erfahrungen mit Geflüchteten scheinen also nicht ausschlaggebend zu sein für generelle Einstellungen und das Wahlverhalten, schlussfolgern die Wissenschaftler*innen.

Das bedeutet aber nicht, dass der Zuzug von Flüchtlingen überhaupt keinen Einfluss auf das Wahlverhalten und die Einstellungen der eingesessenen Bevölkerung gehabt hat: „Einerseits ist es plausibel, dass die Aufnahme zahlreicher Geflüchteter seit 2015 zu steigenden Ressentiments und zum Aufstieg der AfD in den letzten Jahren beigetragen hat. Mit unserer Studie zeigen wir aber, dass dies nicht davon abhängt, ob die Menschen in ihrem direkten Umfeld mit Flüchtlingen konfrontiert sind“, erklären Gereke und Schaub

„Rechte“ und „linke“ Sichtweisen nähern sich ein wenig an

Eine weitere interessante Beobachtung hat das Wissenschaftlerteam gemacht: In den Gemeinden, die Geflüchtete aufgenommen haben, gingen die Meinungen zur Zuwanderung etwas weniger auseinander, als in Gemeinden ohne Zuzug. So wirkte die Anwesenheit von Flüchtlingen auf Personen mit politisch eher rechten, zuwanderungsfeindlichen Einstellungen der Studie zufolge etwas mäßigend. Umgekehrt seien Personen mit eher linken, zuwanderungsfreundlichen Einstellungen bei der Ansiedlung von Flüchtlingen in ihrer Gemeinde diesbezüglich etwas kritischer geworden.

Die Studie ist in der Zeitschrift Comparative Political Studies (vorab online) erschienen: Max Schaub, Johanna Gereke, Delia Baldassarri (2020): Strangers in Hostile Lands: Exposure to Refugees and Right-Wing Support in Germany’s Eastern Regions

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