Die Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft haben sich konstruktiv für eine praxisgerechte Umsetzung des Nationalen Aktionsplans Wirtschaft und Menschenrechte (NAP) der Bundesregierung eingebracht und für eine Beteiligung der Unternehmen an der zweiten Befragung geworben – mit Erfolg. Trotz Corona-Pandemie und teilweise sogar existenzieller Sorgen haben knapp 600 Unternehmen freiwillig den umfangreichen Fragebogen beantwortet, so dass das Quorum deutlich übertroffen wurde.
Der morgen zu erwartenden Übermittlung der Ergebnisse der zweiten Befragungsrunde des NAP an den Interministeriellen Ausschuss sehen wir allerdings kritisch entgegen. Das mit der Durchführung des Monitorings beauftragte Konsortium aus Beratungsunternehmen hat Messmethoden festgehalten, die zu extrem verzerrenden Ergebnissen führen müssen: Um als „Erfüller“ der abgefragten 37 Kriterien zu gelten, musste ein Unternehmen alle diese Kriterien erfüllen und positiv auf die entsprechende Frage antworten. Dieses Vorgehen des Konsortiums ist, als würde man nur Schülern mit der Note 1+ ein erfolgreiches Abitur bescheinigen, also nur jenen, die zu 100 % alles bestens erledigt haben. Wenn das so wäre, würden so gut wie alle Schülerinnen und Schüler durchs Abitur fallen.
Besonders gravierend kommt hinzu, dass der „Comply-or-explain“-Ansatz des NAP missachtet wurde: Anstatt den Unternehmen die Möglichkeit der Erklärung einzuräumen, weshalb ein bestimmtes Kriterium mit Bezug zum eigenen Unternehmen zum Beispiel irrelevant ist, wird die Durchführung einer aufwändigen „äquivalenten Maßnahme“ abverlangt. Darüber hinaus wurde den Belangen von mittelständischen Unternehmen nicht angemessen Rechnung getragen.
Der im Zusammenhang mit dem NAP-Prozess diskutierten Idee der Einführung eines nationalen deutschen Sorgfaltspflichtengesetzes erteilen wir eine Absage. Der internationale Handel und die Lieferkettenbeziehungen durch die Maßnahmen gegen das Coronavirus sind bereits größtenteils erschwert, wenn nicht sogar zum Erliegen gekommen. Die exportorientierte deutsche Wirtschaft befindet sich aufgrund neu hinzugekommener Handelsbeschränkungen sowie weiterhin bestehender Grenzschließungen und Reiseeinschränkungen in der größten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg. Es müssen nationale Sonderwege mit nationalen Belastungen vermieden werden, um die ohnehin schwierige Wirtschafts-Erholung nicht noch mehr zu verzögern. Unternehmen benötigen jetzt alle Ressourcen im Kampf gegen die Corona-Auswirkungen.
Alles andere hilft weder unseren Handelspartnern in den ebenfalls vom Coronavirus betroffenen Ländern noch den Menschen vor Ort, die bei den Zulieferern arbeiten. Denn im Zweifel erhöht es nur für deutsche Unternehmen den Druck, zur Vermeidung von Haftungsrisiken nicht mit Unternehmen in anderen Ländern zusammenzuarbeiten und sich von dort zurückzuziehen, anstatt zu investieren. Kein Unternehmen darf für das Verhalten unabhängiger Dritter im Ausland in formale Haftung genommen werden. Es widerspricht sogar den Regeln von UN und OECD selbst. Sie schließen nämlich eine Haftung für Dritte nur wegen der „Existenz von Geschäftsbeziehungen“ expressis verbis aus. Selbstverständlich haften Unternehmen für eigenes rechtswidriges Verhalten im Ausland, nicht aber für das Verhalten unabhängiger Dritter.
Die gleichwohl wichtige Debatte um Wirtschaft und Menschenrechte sollte deshalb die Praktikabilität für die Unternehmen sowie die Auswirkungen für die Partner vor Ort in den Mittelpunkt stellen. Unternehmen wollen über ihre unternommenen menschenrechtlichen Sorgfaltsmaßnahmen unterrichten und in Zusammenarbeit mit staatlichen Stellen ihren Beitrag zur Verbesserung der menschenrechtlichen Situation leisten. In diesem Sinne könnte eine Ergänzung bestehender Berichterstattungspflichten für europäische Unternehmen um den Aspekt der menschenrechtlichen Sorgfaltsprozesse sinnvoll sein. Die Wirtschaft ist bereit, sich konstruktiv einzubringen und an der praxistauglichen Ausgestaltung einer solchen Regelung mitzuwirken.
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