„Bei vielen schweinehaltenden Betrieben liegen seit einigen Wochen berechtigterweise die Nerven blank“, so Martin Schulz, Bundesvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft e.V. (AbL) und Neuland-Schweinehalter in Niedersachsen. Schulz weiter: „Aufgrund der stillgelegten Schlachthöfe wegen der Corona-Infektionen, insbesondere beim Unternehmen Tönnies in Rheda-Wiedenbrück, konnten viele Tiere nicht geschlachtet werden. Das bedeutet, die Tiere werden zu schwer, eine vernünftige Tierhaltung wird schwierig und es gibt einen Stau in den Ställen. Hinzu kommen stark fallende Erzeugerpreise von aktuell 1,47,-Euro/Kilo Schlachtgewicht, die eine wirtschaftliche Schweinehaltung unmöglich machen und bäuerliche Existenzen gefährden.

Wenn jetzt Bauernproteste vor Tönnies stattfinden, die die vollständige Wiederinbetriebnahme des Schlachthofes fordern, so ist dies aus der betrieblichen Situation einzelner Betroffener nachvollziehbar. Wir haben aber auch als Bäuerinnen und Bauern gleichzeitig klar Position zu beziehen zu den Arbeits- und Lebensbedingungen und zum Gesundheitsschutz der Beschäftigten bei Tönnies und anderen Großunternehmen in der Schlachtbranche. Deshalb untermauern die AbL und die Neuland-Erzeugergemeinschaft Westfalen, die selber einen Teil ihrer Schweine für das Aldi-Programm „Fair und Gut“ bei Tönnies schlachten lässt, in einer aktuellen Erklärung (untenstehend) ihre Kritik an den Verhältnissen in der Schlachthofbranche. Sie fordern die Unternehmen und den Lebensmitteleinzelhandel mit seinen Ramschangeboten, aber auch Bundesagrarministerin Klöckner und die Landesagrarminister*innen auf, das „System Billigfleisch“ zu beenden. Sie alle müssen ihren Worten jetzt Taten folgen lassen und für menschenwürdige Arbeits- und Lebensverhältnisse der Beschäftigten in der Schlachthofbranche sorgen. Zudem fordern AbL und Neuland-Westfalen die Verantwortlichen in der Politik auf, zügig die Umsetzung der beschlossenen Empfehlungen des Kompetenznetzwerks Nutztierhaltung (sog. Borechert-Kommission) anzupacken, um den Betrieben klare wirtschaftliche Rahmenbedingungen für den notwendigen Umbau der Tierhaltung aufzuzeigen. Darüber hinaus ist eine politische Offensive für regionale Schlachthof- und Verarbeitungsstrukturen zu ergreifen.“

AbL und Neuland Westfalen erklären gemeinsam:

Arbeits- und Lebensbedingungen von Beschäftigten in Schlachtunternehmen deutlich verbessern – Regionale Schlacht- und Verarbeitungsstrukturen erhalten, stärken und neu aufbauen

Erst nach dem umfangreichen Auftreten von Corona-Infektionen in deutschen Schlachtstätten mehr oder weniger aller großen Fleischkonzerne, kommt endlich Bewegung in die politische Diskussion um die Situation dort. Dies wollen AbL und Neuland erneut für die Forderung nach deutlichen Verbesserungen der Arbeits- und Lebensbedingungen von Beschäftigten in Schlachtunternehmen nutzen.

Seit langem schon weist die AbL auf die unhaltbaren Zustände in der Schlachtbranche hin, aktuell bspw. unter anderem am 11. und 22. Mai 2020, (www.abl-ev.de/presse). Aus Sicht der AbL ist die allseitige plötzliche Empörung über die vielfach unverantwortlichen und menschenunwürdigen Arbeits- und Lebensverhältnisse in den Schlachtunternehmen Heuchelei. Denn allen, die sich auch nur ansatzweise mit der Thematik beschäftigt haben, sind die Verhältnisse seit Jahren bekannt.

Politik und Unternehmen haben sich bislang geweigert, grundlegende Veränderungen durch- und umzusetzen. Offenbar brauchte es erst ein bedrohliches Virus, um genügend Druck und Handlungsbereitschaft aufzubauen. Jetzt muss alles darangesetzt werden, das System Billigfleisch zu beenden.

AbL und Neuland sind sich einig:
Es gibt weder ein Recht auf billiges Fleisch, noch auf die Ausbeutung osteuropäischer Arbeiter. Hingegen haben Bauern und Bäuerinnen ebenso ein Recht auf Arbeitsbedingungen, die ihnen eine auskömmliche Existenz sichern wie auch Nutztiere ein Recht auf eine artgemäße Haltung haben.

Die AbL fordert schon seit Jahren von den Verantwortlichen in der Politik das Verbot von Werkverträgen und die Übernahme der Arbeiter und Arbeiterinnen in der Schlachtindustrie in feste Beschäftigungsverhältnisse. Erst jetzt, unter dem Eindruck der Corona-Pandemie und ihrem Geschehen gerade auch in Schlachtstätten, hat das Bundeskabinett beschlossen, einen Gesetzesvorschlag bis Ende Juli vorzulegen, der ab 2021 das Verbot von Werkverträgen in den Kernbereichen der Schlachtbranche vorsieht. Aus der Sicht von AbL und Neuland ist das allein nicht ausreichend. Die menschenunwürdige Behandlung der Beschäftigten in den Schlachthöfen muss jetzt beendet werden. Der gesundheitliche Arbeitsschutz im Schlachthof muss gewährleistet werden. Eine unabhängige Ombudsstelle muss in allen Schlachthöfen eingerichtet werden, die unbürokratisch Beschwerden der Beschäftigten annimmt, bearbeitet und sich für Abschaffung der Missstände einsetzt. Die faire Bezahlung aller Beschäftigten muss gewährleistet werden. Ebenso muss eine menschenwürdige Unterbringung gewährleistet und diese von den Kommunen überprüft werden, Gewerkschaften muss der Zugang ermöglicht werden. Angebote zur Sprachförderung und zur Integration der Menschen müssen ausgebaut werden und an den Bedürfnissen und Möglichkeiten orientiert sein. Die Kontrollen der Arbeitsbedingungen müssen verschärft werden, dafür müssen die Bundesländer ihre Zollbehörden personell und finanziell ausreichend ausstatten.

Regionale Schlacht- und Verarbeitungsstrukturen erhalten, stärken und neu aufbauen

Seit einigen Jahren und erst recht in der Corona-Krise nimmt die Diskussion um regionale Fleischverarbeitung und Vermarktung an Bedeutung zu. Die bereits weggebrochenen und unzureichenden Schlachthof- und Verarbeitungsstrukturen, der Fortgang dieser Entwicklungen sowie der rasante Rückgang der selbst schlachtenden Metzgereien stehen einer mindestens gesellschaftlich geforderten Stärkung regionaler Strukturen in der Landwirtschaft und im Lebensmittelhandwerk gegenüber. Diese Entwicklung ist nicht vom Himmel gefallen. Mit Hilfe von politischen Strukturplänen in den Bundesländern, wurden systematisch regionale und kommunale Schlachthöfe geschlossen. Wir alle tragen dafür eine Verantwortung: die Bauern, die Verbraucher, der Lebensmitteleinzelhandel, die Fleischindustrie und die Wissenschaft haben diese Entwicklung durch ihr Tun befördert. Die Verantwortlichen in der Politik haben durch Strukturpläne, ständig verschärfte Auflagen und massive Fördergelder bewusst diesen Weg der Konzentration bei den Schlachthofunternehmen eingeleitet und unterstützt.

Die Corona-Krise, das Zusammenbrechen von nationalen und globalen Lieferketten, zeigt die hohe Anfälligkeit des gesamten Systems Billigfleisch, welches auf großen und zentralisierten Strukturen beruht. Diese Systemversagen macht deutlich, dass wir dringend umsteuern und wir die Vielfalt der regionalen Strukturen entlang der gesamten Wertschöpfungskette stärken, erhalten und wieder aufbauen müssen. Das bedeutet konkret massive Investitionen für den Um- und Neubau von Schlacht- und Verarbeitungsstätten. Sie müssen nach aktuellsten Gesichtspunkten der Wissenschaft in Bezug auf Tierschutz, Hygiene und Gesundheitsschutz der Arbeitnehmenden modernisiert bzw. neu gebaut werden. Dies wird ohne massive staatliche Förderung nicht zu stemmen sein. Wir Bäuerinnen und Bauern sind bereit, für die Stärkung unserer regionalen Erzeugung und Vermarktung Mitverantwortung zu übernehmen. So haben zum Beispiel die Neuland- und Biofleischerzeuger in Westfalen 2019 den Fleischzerlegebetrieb in Bergkamen auch mit Hilfe von öffentlichen Fördergeldern modernisiert und erweitert.

Es bedeutet aber auch für die Politik einen gesetzlichen Rahmen zu schaffen, der Schlachtung und Verarbeitung von Fleisch auch in kleineren, regionalen Strukturen (wieder) stärkt, anstatt fast ausschließlich die stattfindende Rationalisierung und Konzentration zu stützen.

Wir fordern alle Verantwortlichen der Politik sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene auf, Konsequenzen aus der Corona-Krise zu ziehen und alle beteiligten Akteure zusammen zu bringen,

– um zeitnah einen Strukturplan für Umbau und Neubau von regionalen, kleinen und mittelständischen Schlacht- und Verarbeitungsstätten zu erarbeiten,
– um zeitnah Investitionsprogramme zur Umsetzung des Strukturplans vorzulegen
– die notwendigen gesetzlichen Initiativen zu initiieren
– sowie die Finanzierung der Strukturveränderungen sicher zu stellen.

Profitieren werden wir alle: die Bäuerinnen und Bauern, die Verbraucher*innen, die Tiere, die Metzgereien, die regionale Schlachthöfe, die regionalen Wertschöpfungsketten.

 

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