Ende Mai hat der Schweizer Bundesrat die Milchhygieneverordnung geändert und an die entsprechende EU-Verordnung (1308/2013, Anhang VII) angepasst: Milch wird ab Juli 2020 auch in der Schweiz nicht mehr zwingend als «ganzes Gemelk» definiert. Mit dieser Verordnungsänderung wird für die mutter- und ammengebundene Kälberaufzucht ein gewichtiges Hindernis aus dem Weg geräumt, und das Heranwachsen widerstandfähiger Kälber wird gefördert.
Natürliches Verhalten in der frühen Aufzuchtphase ermöglichen
«Wir erwarten, dass vermehrt Landwirtinnen und Landwirte ihre Kälber nach der Geburt nicht mehr von den Milchkühen trennen und den Kälbern und Kühen ein weitgehend natürliches Verhalten in der frühen Aufzuchtphase ermöglichen werden» sagt Anet Spengler Neff, Leiterin der Gruppe Tierzucht und Tierhaltung am FiBL. «Die mutter- oder ammengebundene Kälberaufzucht ist sympathisch und tierfreundlich und von den Konsumentinnen und Konsumenten gewünscht. Gleichzeitig stellt sie auch hohe Anforderungen an die Tierhalterinnen und Tierhalter», erklärt sie weiter.
«Die mutter- und ammengebundene Kälberaufzucht erfordert, dass man die Tiere täglich gut beobachtet und das System situationsbezogen und tierindividuell flexibel anpasst», sagt dazu FiBL-Beraterin Claudia Schneider. «Denn die Tiere reagieren ganz unterschiedlich. In der Zeit, während eine Kuh ein Kalb säugt, ist das Melken erschwert, weil die Milch zum Teil im Euter zurückgehalten wird. Während der Säugewochen sind deshalb die Milchmengen- und Gehaltsmessungen oft ungenau. Zudem sinkt die Milchmenge, die der Betrieb verkaufen kann», führt sie aus.
Lautes Muhen von Kuh und Kalb
Noch nicht alle praktischen Schwierigkeiten der mutter- und ammengebundenen Kälberaufzucht sind gelöst. «Für Zuchtbetriebe ist es zum Beispiel problematisch, dass ihre säugenden Kühe oft mehrere Monate lang bei den Milchkontrollen geringere Milchmengen mit anderen Fettgehalten geben», gibt Anet Spengler Neff zu bedenken.
Zudem erfolgt das Absetzen der Kälber von der Mutter meistens bereits im Alter von ein paar Wochen oder Monaten, früher als das gemäss natürlichem Absetzalter von acht bis elf Monaten der Fall wäre. In einer ersten Phase hinterlässt das unzufriedene Tiere, was sich in lautem Muhen bei Kuh und Kalb zeigt. Es gibt zwar einige Lösungsansätze, doch diese können nicht in jedem Betrieb umgesetzt werden.
Mit wenigen Tieren starten
Claudia Schneider rät: «Wer mit mutter- und ammengebundener Kälberaufzucht starten will, kann in einem ersten Schritt mit wenigen Tieren anfangen und Schritt für Schritt Erfahrungen sammeln, ohne grosse Investitionen tätigen zu müssen. Wenn die Abläufe klar sind, können dann bei Bedarf Stallumbauten geplant werden». Inspirieren lassen können sich Interessierte durch Video-Betriebsporträts auf Bioaktuell.ch, die verschiedene Formen von mutter- und ammengebundener Kälberaufzucht zeigen. Im Rahmen der Plattform mutter- und ammengebundene Kälberaufzucht werden zudem periodisch Austauschtreffen für die Landwirtschaft organisiert.
Das FiBL betreibt seit Jahren Forschung und Beratung zur Förderung der mutter- und ammengebundenen Kälberaufzucht. Das Forschungsinstitut arbeitet dabei mit Bäuerinnen und Bauern zusammen, die verschiedene Systeme in der Praxis erprobt haben und auf ihren Betrieben Versuche durchführen liessen. Bereits 2011 veröffentlichte das FiBL die erste Auflage des Merkblattes zur kuhgebundenen Kälberaufzucht für Landwirtinnen und Landwirte. Dieses wurde mittlerweile ins Englische, Französische, Italienische und Polnische übersetzt und 2018 neu aufgelegt.
Förderer und Gönner
- Albert Koechlin Stiftung
- Coop Fonds für Nachhaltigkeit
- CORE Organic Cofund / Bundesamt für Landwirtschaft BLW
- Lidl Schweiz
- Stiftung Dreiklang
- Vier Pfoten
Links
Merkblatt 2018 / Nr. 1575: Mutter- und ammengebundene Kälberaufzucht in der Milchviehhaltung
Bioaktuell, 9/2019: Trinken am Euter ist gut für die Kälber
Bioaktuell 3/2017: Zurück zur Natur mit dem System Ammenkuh
Bioaktuell 3/2017: Wie Milchkühe zu Ammenkühen werden
Mutter- und ammengebundene Kälberaufzucht auf bioaktuell.ch
Informations- und Austauschplattform zur kuhgebundenen Aufzucht
Video
Neu: Beispiele von Kälberaufzucht an Müttern und Ammen
Beispiele von Kälbermast an Müttern und Ammen
Mechthild Knösel erklärt die muttergebundene Kälberaufzucht auf ihrem Betrieb
Das Forschungsinstitut für biologischen Landbau FiBL ist eine der weltweit führenden Forschungseinrichtungen zur Biolandwirtschaft. Die Stärken des FiBL sind interdisziplinäre Forschung, gemeinsame Innovationen mit Landwirtinnen und Landwirten und der Lebensmittelbranche sowie ein rascher Wissenstransfer. An den verschiedenen FiBL-Standorten sind 280 Mitarbeitende tätig.
FiBL – Forschungsinstitut für biologischen Landbau
Ackerstrasse 113
CH5070 Frick
Telefon: +41 (62) 8657-272
Telefax: +41 (62) 8657-273
http://www.fibl.org
Departement für Nutztierwissenschaften, FiBL Schweiz
Telefon: +41 (62) 86572-28
E-Mail: claudia.schneider@fibl.org
Departement für Nutztierwissenschaften, FiBL Schweiz
Telefon: +41 (62) 86572-90
E-Mail: anet.spengler@fibl.org
Kommunikation, FiBL Schweiz
Telefon: +41 (62) 86504-47
E-Mail: ania.biasio@fibl.org