Um eine wunderbare Freundschaft geht es in dem Kinderbuch „Axel und der Maler Sim“ von Elisabeth Schulz-Semrau.
Immer noch spannend liest sich eines der Frühwerke von Wolfgang Schreyer aus dem Jahre 1953 mit einem für den Absatz seines zweiten Buches folgenreichen Titel – „Mit Kräuterschnaps und Gottvertrauen“.
„Das Ermittlungsverfahren“ von Walter Baumert ist ein dokumentarischer Thälmann-Roman. Entgegen allen rechtsstaatlichen Regeln und trotz seiner parlamentarischen Immunität als Mitglied des Reichstages ist der Führer der deutschen Kommunisten verhaftet worden. Und die Nazis versuchen, einen großen Prozess anzustrengen, um der Welt die von ihnen behauptete bolschewistische Weltverschwörung zu beweisen. Aber wird es wirklich zu diesem Prozess kommen?
Und damit sind wir wieder beim aktuellen Beitrag der Rubrik Fridays for Future angelangt. Jede Woche wird an dieser Stelle jeweils ein Buch vorgestellt, das im weitesten Sinne mit den Themen Klima, Umwelt und Frieden zu tun hat – also mit den ganz großen Themen der Erde und dieser Zeit. Und da hat die Literatur schon immer ein gewichtiges Wort mitzureden und heute erst recht. Das heutige Buch knüpft fast nahtlos an den Thälmann-Roman von Walter Baumert an, geht es doch um die selbe Zeit der heraufziehenden faschistischen Gefahr. Die Nazis drängen an die Macht und ihre Gegner dürfen diese Gefahren nicht unterschätzen. Wer steht auf welcher Seite? Wie und mit welchen Mitteln kämpft man am besten? Wie organisiert man den Widerstand? Und welche Rolle spielen Kunst und Künstler? Parallelen zur Gegenwart tun sich auf.
Erstmals 1990 kam im Kinderbuchverlag Berlin „Die Maler aus der Ostbahnstraße. Aus dem Leben von Hans und Lea Grundig“ von Brigitte Birnbaum heraus: Endlich ist es Hans und Lea gelungen: Für wenig Geld können sie ein Atelier beziehen, zwei lichte Räume in einem Mietshaus an der Ostbahnstraße, vier Treppen hoch. Der Blick geht über das Bahnhofsdach, Lärm dringt herauf, und der Qualm der Loks weht gegen das schlecht verkittete Fenster. Eine schmutzige, verrußte Gegend, doch das stört die beiden nicht. Endlich werden sie ungehindert arbeiten können, malen und zeichnen, und sie werden leben in eigenen vier Wänden. Es ist das Jahr 1930 und eine schwere Zeit für die angehenden Künstler. Noch sind Hans und Lea Grundig unbekannt, wer Geld hat, kauft ihre Bilder nicht, und die Grundigs wissen, warum das so ist. Fürs erste hilft ein Kunstpreis weiter, ein paar hundert Mark, doch bald schon sind die Kassen wieder leer, und das wird nicht die einzige Sorge für Hans und Lea sein …
Sachkundig im Detail, lebendig und engagiert in der Schilderung von Leben und Werk, erzählt Brigitte Birnbaum von einem Künstlerehepaar, das den Schwierigkeiten des Alltags nicht nachgibt und mit seinen Bildern etwas bewirken will in dem alles beherrschenden Konflikt der Zeit: Es naht das „Tausendjährige Reich“. Im folgenden Textausschnitt, dessen Handlung relativ harmlos beginnt, passiert etwas Schreckliches. Eine Frau wartet auf ihren Mann, aber der wird aufgehalten:
„Die Fensterscheiben klirrten leise, doch laut genug, dass sie Lea weckten. Verdrossen blinzelte sie unter ihrer Zudecke hervor. Das musste der Prager D-Zug gewesen sein. Jeden Morgen gegen acht Uhr dreißig ließ er die Scheiben erzittern. Also war sie wieder eingeschlafen. Sie drehte sich von der Seite auf den Bauch. Dass Hans noch nicht vom Brötchenholen zurück war, wunderte sie. Denn wäre er zurück, hätte er ihr das Deckbett weggezogen. Gnadenlos. Fröstelnd stand sie auf, legte zwei Kohlen ins fast ausgebrannte Öfchen und setzte Kaffeewasser auf. Obwohl sie in dieser Wochenhälfte gar nicht mit der Hauswirtschaft dran war, sondern Hans. Sogar den Frühstückstisch begann sie zu richten. Ihr knurrte der Magen. Und Witschel bummelt, grollte sie, während sie sich, vor Kälte bibbernd, wusch. Außerdem muss er nachher aufs Arbeitsamt. Jeden dritten Tag musste er dort seine Stempelkarte vorlegen. Persönlich. Lea erhielt keine Arbeitslosenunterstützung. Als Ehefrau oblag ihr die Haushaltsführung, und Haushaltsführung galt als Berufsarbeit.
Rasch zog sich Lea an und horchte auf den Gesang im Treppenflur. „Wie kommt der Herr Meier auf den Himalaja …“ Das interessierte sie im Augenblick am allerwenigsten. Wo blieb nur Hans? Schon begann das Wasser auf dem Öfchen zu summen. Hatte Hans unterwegs jemanden getroffen? Kurt? Um diese Stunde? Sie erinnerte sich, dass Kurt mit Hans etwas besprechen wollte. Mit Kurt wäre er heraufgekommen, obwohl sie damit rechnen mussten, Lea noch im Bett zu finden. Wenn schon. Sie kannten einander lange und gut genug. Unruhe beschlich sie.
Hätte Lea das Fenster geöffnet, den Kopf in den Wind gesteckt und ein bisschen nach rechts geschaut, hätte sie ihren Hans inmitten der Leute stehen sehen, mit dem Netz am Arm, darin die vier Brötchen, für zehn Pfennig Milch, ein Achtelchen vom billigen Kaffee, ein Achtelchen Butter, den kleinen Limburger Käse und die zehn Zigaretten. Hans Grundig war mit seinem Einkauf schon auf dem Heimweg gewesen, da geschah vor seinen Augen das Grässliche.
Voller Vorfreude, wie er sein Schwarzes wecken würde, schlenkerte er mit dem Netz, als irgendwo über ihm Kinder in höchster Angst losschrien. Noch ehe er den Kopf heben konnte, senkte sich ein Schatten und schlug ein paar Meter vor ihm auf den Bürgersteig. Eine Frau, mit dem Gesicht nach unten, lag auf den Steinen, die Arme wie eine Gekreuzigte von sich gestreckt.
Menschen liefen zusammen. Hans wurde vorangestoßen. Ein Mann mit einer hässlichen Narbe auf der Stirn rief nach einem Arzt, ein anderer nach einem Polizisten. Der war auch als erster zur Stelle.
„Weitergehen! Gehen Sie weiter.“ Mit seiner Trillerpfeife pfiff er sich Verstärkung herbei. Trotzdem ging niemand weiter. Im Gegenteil. Der Zuschauerkreis um die Tote wuchs. An Hansens Ohr drangen Gesprächsfetzen:
„Das ist nun schon die zweite.“
„Was blieb ihr denn übrig?“
„Morgen wollte der Hauswirt sie raussetzen lassen. Mit der Miete war sie drei Monate im Rückstand.“
„Der Mann starb letzten Herbst an der Schwindsucht.“
„Arbeit fand sie keine.“
Aus dem Fenster springen ist doch kein Ausweg, dachte Hans erregt.
„Sollte sie denn zusehen, wie ihr ein Kind nach dem anderen verhungert?“
„Und nu?“, fragte der Mann mit der Narbe.
„Im Waisenhaus kriegen sie wenigstens einmal am Tag ’ne Suppe.“
„Mein Gott, deckt sie doch wenigstens zu …! Deckt sie doch zu!“
Ein Rollwagenkutscher vom Bahnhof erbarmte sich und warf eine Pferdedecke über die Tote.
„Wer ist sie?“, fragte der Polizist barsch die Umstehenden und zückte sein Notizbuch.
„Mutter…“, jammerte ein Stimmchen. Fünf heulende, abgemagerte Kinder mit vor Entsetzen geweiteten Augen schmiegten sich aneinander und wagten nicht, sich zu rühren. Das ganze Elend der Welt blickte Hans aus diesen Kinderaugen entgegen. Die Wirtschaftskrise. So sah sie aus. Eingebrockt von den Reichen, um noch reicher zu werden. Aber die Herren sollten sich verrechnet haben, schwor sich Hans erschüttert und empört. Wir sind auch noch da!“ Und damit zur ausführlichen Vorstellung der anderen Angebote dieses Newsletters:
Erstmals 1979 veröffentlichte Elisabeth Schulz-Semrau im Kinderbuchverlag Berlin „Axel und der Maler Sim“: Im Telefon wisperte es, so wie man es vor einer Theatervorstellung hinter dem Vorhang hört, was einen sehr gespannt und neugierig macht. – „Fang du an!“ – „Nein, du!“ – „Los, mach schon!“ – „Heißen Sie wirklich Simsalabim“, fragte eine Stimme. Es war eine kleine Stimme, und dünn war sie auch, obwohl sie sich Mühe gab, groß und dick zu klingen. Und obwohl unser Freund in die Muschel hinein behauptete, er heiße Sonsalla, begann die kleine, dünne Stimme zu singen: „Auf einem Baum ein Kuckuck saß …“ Doch lest selbst weiter, wie der Junge Axel und der alte Maler Sim Freundschaft schließen und wie es ihnen gemeinsam gelingt, ihre Sorgen und ihren Kummer zu vertreiben. Und hier das bereits erwähnte Telefonat in voller Länge und ein paar weitere Bemerkungen über Herrn Simsalabim, der eigentlich gar nicht so heißt, sondern Sonsalla, Friedrich Sonsalla:
„1. Kapitel
Dirr – dingelte das Telefon, und gleich noch einmal dirr …
Friedrich Sonsalla holte, beim ersten Klingelton aufgeschreckt, seine langen Glieder zusammen.
Er hatte, wie meist in der letzten Zeit, in seinem weichen, tiefen Sessel gehangen, Beine weit von sich gestreckt, Arme und Hände ruhten schwer auf den Armpolstern. Der Kopf war auf die Brust gesunken. Eine scharfe Hakennase stach in die Zimmerluft, die grau war vom Rauch großer Zigarren. Und dann war da noch die Unterlippe, die auffiel, sie kräuselte sich trotzig über die Oberlippe.
Die Augen waren geschlossen, aber er schlief nicht, der Friedrich Sonsalla, er machte etwas, das erst einmal kein Mensch sehen konnte.
Nur er.
Doch wenn er wollte, konnte er es sichtbar werden lassen.
Er malte es dann in wildbunten Farben auf gerahmte Leinwände, und einige davon hingen so vollgemalt um ihn herum in dem weiß getünchten Zimmer.
Aber er hatte wochenlang keine bunten Farben mehr aus den Tuben gedrückt und mit keinem Pinsel aus drei oder mehr Farben eine, seine neue Wunderfarbe, herausgemischt.
Er malte immerfort, doch nur in seinem Kopf.
Nicht, dass er ein richtiges Bild nicht gewollt hätte. O nein, das hätte er schon, aber es war so, er konnte nicht anders. Er war traurig darüber. Er war überhaupt traurig. Ja, das war es wohl.
So schrak er auf, als das Telefon klingelte.
Das hatte es schon so lange nicht getan, wie Friedrich Sonsalla nicht die Leinwände bemalte. Klar doch, dass er erschrak, und er holte sofort seine müden Glieder wie durch Strippen gezogen zu sich heran.
Beim zweiten Dingeln war es ihm, als wenn eine kleine Laubsäge sich in seiner Brust einen Weg biss. Und er dachte rasch alle Leute und Ämter durch, die etwas von ihm wollen könnten.
Nämlich – erwachsene Leute fürchten sich auch vor manchen Dingen. Ihm fiel ein, er hatte vergessen, die letzte Miete zu bezahlen.
Der dritte Dirr-Ton aber läutete eine Erinnerung wach, die war noch ein wenig verschwommen, und Friedrich Sonsalla musste beinahe erraten, was er sah. – Wartet mal – eine Straßenbahn quietschte in einer Kurve, Fahrgäste hinter den Fenstern – da gingen aber auch Menschen: Frauen mit Einkaufsnetzen, junge Burschen in Lederjacken, die laut miteinander sprachen, Mädchen, die kicherten und Blumensträuße in den Händen hielten, da – Häuser …
Eine Straße also, und er musste sie irgendwann gekannt haben. –
Beim vierten Läuten hatte er seine Hand schon auf dem Hörer, er führte ihn an sein Ohr.
Im Telefon wisperte es, so wie man es vor einer Theatervorstellung hinter dem Vorhang wispern hört, was einen sehr gespannt und neugierig macht.
„Fang du an!“
„Nein, du!“
„Los, mach schon!“
„Heißen Sie wirklich Simsallabim“, fragte eine Stimme.
Es war eine kleine Stimme, und dünn war sie auch, obwohl sie sich Mühe gab, groß und dick zu klingen.
Und obwohl unser Freund in die Muschel hinein behauptete, er heiße Sonsalla, begann die kleine, dünne Stimme zu singen: „Auf einem Baum …“, bei Baum waren noch mindestens zwei andere Stimmen dabei, „ein Kuhukuck, simsallabim-bambasalladu-salladim, auf einem Baum ein Kuhukuck saß …“
Es müssen Jungen sein, dachte Sonsalla, sie singen härter als Mädchen, und die Stimmen klirrten machmal etwas auseinander. Einer muss darunter sein, der kann den Ton nicht halten.
Sonsalla suchte in seinem Gedächtnis die Töne dieses Liedes zusammen, und als die Jungen bei der zweiten Strophe, in der der junge Jäger den armen Kuckuck totschoss, mit ihren Stimmen wieder ein wenig abzurutschen begannen, stützte er sie mit seiner alten, aber immer noch festen Stimme.
Die Strophe, in der der Kuckuck nach einem Jahr wieder dasaß, musste er allein zu Ende singen, denn die Jungen hatten aufgehört.
„Nanu“, fragte Sonsalla und kratzte sich ein wenig unterm Kinn, das heißt, eigentlich kratzte das Kinn mehr seine Hand, denn grauschwarze Bartstoppeln wucherten zentimeterlang um Mund und Kinn. „Nanu, warum hört ihr denn auf?“
Wieder wisperte es im Telefonhörer, bis eine Stimme, es war die kleine, dünne, die Sonsalla schon vertraut war, sagte: „Nee so was – und Sie sind nicht sauer, Herr Simsallabim, wo wir doch …?“
„Warum denn“, fiel Friedrich Sonsalla dem Jungen in die Erklärung, „wo ihr mir solch ein hübsches Lied gesungen habt. Sagt mir lieber, wie ihr heißt, erzählt mir was von euch …“
Wieder Flüstern. Sätze überquerten sich. „Der ist aber komisch. Meckert nicht mal, wo die andern doch …“
„Vielleicht ist er verrückt, mein Vati hat mal erzählt …“
„Und wenn er die Polizei holt …“
Der Hörer schlug so auf die Gabel, dass Friedrich Sonsalla den Schlag an seinem Ohr zu spüren glaubte. Er legte langsam und vorsichtig den Hörer auf das Telefon und lächelte vor sich hin.
Und jetzt wusste er, welche Straße ihm vorhin eingefallen war. Vor Jahren hatte er in einem hohen, neuen Haus unterm Dach eine Wohnung gehabt. Eine riesige Glasdecke trennte ihn in seinem Malzimmer vom Himmel, der sehr hellblau und wie eine Kuppel fern über ihm stand; manchmal breitete der Himmel einen tiefblauen Samtvorhang über das Glasdach, oder er streute seine Sterne auf Sonsallas Fußboden, dass sie wie Glühwürmchen darüber hinspazierten. Riesige weiße Elefantenherden sah Sonsalla trotten, die sich sekundenrasch in hüpfende Kängurus verwandeln konnten oder in breitlachende oder grimmige Riesengesichter. Stunden des Tages war dieser Himmel oft Sonsallas einziger Besucher in seinem Arbeitsraum gewesen. Und er gab viel auf ihn. Aber dann, meist wenn der Tag seine Mitte überschritten hatte, wurde es ihm mit dem fernen Besucher zu einsam und – er ging in seine Straße.
Eisenbahnstraße hieß sie. Warum, wusste er nicht mehr, vielleicht, weil sie parallel zum Bahnhof verlief.
Er ging also, hin – rechte Straßenseite, zurück – die gegenüberliegende oder umgekehrt. Es war eine sehr lange Straße. Er hätte mit drei oder vier Straßenbahnlinien mindestens fünf Stationen fahren müssen, um an ihr Ende zu gelangen. Aber das machte er höchstens, wenn er sich zu lange aufgehalten oder zu schwer zu tragen hatte, sonst ging er. Und das tat er sehr gern und langsam mit großen Schritten und großen Schuhen.
Und wenn die vielen Menschen in dieser Straße nichts oder wenig zu tun gehabt und zu Boden gesehen hätten, wären ihnen die großen, langsamen Schritte und die großen, flachen Schuhe des Mannes aufgefallen. So aber blickten alle nach oben und nach vorn, sie strebten einem Ziel zu: der Konsumfleischerei, einem der kleinen Bäckerläden, einem Hut- oder Schuhgeschäft, dem Gebrauchtwarenladen oder ihrer Wohnung. Es sei denn, ein Kind hätte seinen Einkaufszettel oder das Geld verloren, aber dann hatte es längst andere Sorgen als die großen, suchenden Füße eines Bildermalers.
Auf fiel nur, wenn er plötzlich im Hin und Her der Menschen ruckhaft stehen blieb, die andere Straßenseite oder ein Schaufenster mit den Augen absuchte. Dann bemerkten zumindest die Leute, deren Weg er hemmte, wie der seltsame Mann ein Auge zukniff, mit dem anderen aber scharfe Blitze auszusenden schien.
Es konnte passieren, dass er vor dem bunten Vielerlei des Kunstgewerbeladens plötzlich eine völlig fremde Frau wütend darauf aufmerksam machte, was für grässlicher Krimskrams hier angeboten wurde, oder er holte aus einer Hosentasche ein Zettelchen, auf das er rasch irgendwelche Zeichen strichelte.
Oft hielt er sich am Kinderkarussell auf, das zwischen zwei Häusern auf der Fläche eines abgerissenen Hauses kreiselte und lustige Lieder zwischen den Straßenlärm warf.
Den Kindern hier war er vertraut gewesen, auch denen an den Eisbuden, und nicht selten forderten sie von sich aus: Haste nicht noch ’n paar Zehner?
Solange Sonsalla sich seiner Straße erinnerte, sah sein mageres, stoppliges Gesicht sanft, beinahe fröhlich aus.
Hätte ihn jetzt seine Nachbarin, die alte Wiezzoreck, gesehen, würde sie bestimmt nicht wie fast täglich sagen: Fürchterlich sieht der alte Zausel aus, der baut ab, ganz rapide baut der ab. Er wird sterben, wie seine Gertrud. Nee, nee, so darf ein Mensch sich nicht gehen lassen …
Als er vor einiger Zeit noch bunte Bilder malte und viele Autos vor seinem Haus hielten, hatte sie andere böse Sätze für ihn bereit: De hev ön Vogel, sone irrige Bülders tou molen.
Nun aber, sie sah ihn ja nicht, denn sie saß mit ihren Kaffeefreundinnen im engen Zimmer ihres Häuschens und sagte eben wieder ihren täglichen Satz: Fürchterlich sieht er aus, der Zausel …
Der alte Maler kniff auf einmal beide Augen zu und sah eine Haustürschwelle vor einer grünen verwitterten Tür, darauf hockte ein Bürschlein, fünfjährig vielleicht, müde und schmuddlig gespielt. So schmuddlig, wie Sonsalla es noch nie gesehen hatte. Grün sah der Junge aus, von Kopf bis Fuß wie mit Grünspan überzogen. Das Grün leuchtete. Dabei schlief er friedlich in der nachmittäglichen Straßenhast der Eisenbahnstraße … Das hatte Sonsalla malen wollen, sehr oft, aber es waren immer andere Aufträge dazwischengekommen.
Jetzt trat das Bild fast fertig gemalt wieder vor seine Augen, und nun hätte er …
Der Mann seufzte. Er fühlte sich wieder in seinem Zimmer, das sehr still war, nur sein Herz pochte laut! Das Zimmer, er bemerkte es, war grau vom Rauch dicker Zigarren.
Er schob den Vorhang beiseite und öffnete die Terrassentür und erschrak vor dem Geruch, der ins Zimmer drang, schwer und süß.
Gemähtes Gras? War das schon die Akazie? Ein Streifen der Nachmittagssonne wanderte an ihm vorbei einfach ins Zimmer.
Sonsalla flüchtete in seinen großen Sessel, ließ sich hineinrutschen, die Hände ruhten wieder lang und schwer auf dem Armpolster.
Als er seine Beine von sich strecken wollte, drängte sich ein violetter zweihälftiger Ton ins Zimmer. Der Alte spannte sein Gesicht, horchte. Wirklich, es war ein Kuckuck. Er begann mitzuzählen …“
Erstmals 1953, einem der Schicksalsjahre der DDR, erschien im Verlag Das Neue Berlin der Roman „Mit Kräuterschnaps und Gottvertrauen“ von Wolfgang Schreyer: Der zweite Roman des damals erst 26-jährigen Autors spielt Anfang der 1950er Jahre in einer anhaltinischen Kleinstadt. Jugendlich unbekümmert, ohne Angst vor zivilrechtlichen Folgen, beschrieb er eigenes Erleben in einem Betrieb, der aus der Produktion von Likören und vor allem eines Schweinemastpulvers gute Gewinne erzielt. Mit Humor, beißender Satire und der Spannung eines Kriminalromans nimmt er die Schiebungen seines Chefs genauso aufs Korn wie den vom Chef mit Likören geschmierten Gewerkschaftsfunktionär. In einer Rezension hob Stefan Heym gleich nach dem Erscheinen dieses Buches die realistische Darstellung der Gewerkschaftsfunktionäre hervor. Trotzdem kam das Buch über die Erstauflage von 20 000 Stück nicht hinaus. Offenbar nahm man Rücksicht auf die Ost-CDU und die Befindlichkeiten der christlichen Bürger – wegen des lästerlichen Titels.
In seinem autobiografischen Roman „Der zweite Mann“ schreibt Schreyer 2000, also fast ein halbes Jahrhundert später, über seine Jugenderlebnisse und über dieses Buch: „Wenn dort, wie erlebt, die Beute der Königin den Lohn der Arbeitsbienen krass übersteigt, so kann etwas nicht stimmen. Dieser Zug des Kapitalismus stößt mich ab. Für Nichtstun 17-mal mehr, bloß weil einem der Laden gehört, das ist ungerecht und wider die Vernunft … dass ohne weit mehr Ungerechtigkeit die Marktwirtschaft offenbar nicht läuft, das geht mir erst viel später auf“, so die kritische Sicht des erfolgreichen Autors auf die kapitalistische Art zu Wirtschaften. Hier der Anfang des auch heute noch spannend zu lesenden Romans, dem ein bemerkenswerter und diplomatisch klug formulierter Prolog vorangestellt ist. Und hier ist derselbe:
„PROLOG
Meinen Ebenstedter Freunden und Kollegen versichere ich, dass nur die edlen, sauberen und artständigen Charaktere dieses Romans hier und da dem Leben nachgezeichnet wurden. Dagegen habe ich sämtliche bösen und unsympathischen Figuren völlig frei erfunden. Sollte sich trotzdem jemand getroffen fühlen (‚Teufel. Teufel!‘), so erkläre ich feierlich: Das ist reiner Zufall.
Erster Teil
- Begegnung auf der Landstraße
An einem feuchtkalten Februarabend rollte ein mit Buchenholz betriebener Lastwagen südwärts auf der Straße 189 in Richtung Magdeburg. Der Fahrer des hellblau lackierten, zumeist stinkenden Qualm verbreitenden Wagens, Günter Herbst, fror. Seine breiten, öligen Hände lagen auf dem heftig zitternden Lenkrad. Er fror empfindlich, weil er sich nicht bewegen konnte. Von irgendwoher, so fand er, zog es immer; am meisten von unten. Überall klafften Ritzen und Löcher, durch die eisiger Fahrtwind drang. Zwar gab es verschiedene Methoden, dem abzuhelfen. Man stopfte Zeitungspapier oder Lappen hinein, legte den Wagenboden mit Pappe und Teppichresten aus, wickelte sich in Wolldecken. Aber viel half das nicht. Das rhythmische Zittern des Motors und die Schlaglöcher der Landstraße jagten einen Schauer von leichten und heftigen Stößen durch den Wagen. Nichts hielt diesem unablässigen Schütteln stand, kein Öllappen und kein Teppichstück; alles veränderte seine Lage, alte Ritzen taten sich auf, neue kamen mit jeder Fahrt dazu. Da war nichts zu machen.
Günter Herbst zog die Schulter hoch, fischte eine Zigarette aus der Joppentasche und versuchte, sie in Brand zu setzen. Natürlich, dachte er, es ist ein bisschen leichtsinnig, gerade hier sich ein Stäbchen anzustecken. Denn es ist stockfinster und du bist immer noch nicht aus dem verdammten Kaff raus. Aber was soll man machen, wenn man Appetit hat? Sein Kopf stieß vor, verfehlte die Streichholzflamme. Irgendein Luftstrom blies sie aus. Zwei Sekunden dauerte das nur, aber währenddessen rollte der schwere Lastwagen zwanzig Meter weiter, geradeaus – hoffentlich.
Kein Mensch war mehr auf der Straße; mit den Hühnern gingen sie hier schlafen. Jetzt wurden die Hausabstände größer. Das verdammte Kaff, eine Kleinstadt nahe der Zonengrenze, war anscheinend bald zu Ende.
Auch der zweite Versuch scheiterte; höhnisch tanzte die Flamme in der zitternden Hand auf und ab. Nervös wie ’n Tattergreis, dachte er; vollkommen übermüdet. Seit dem Morgengrauen war er unterwegs, ohne Beifahrer. Was zu viel ist, ist zu viel. Als Angestellten führten sie ihn, und in solchen Augenblicken war er geneigt, dies für einen hinterlistigen Trick zu halten, der es der Firma ermöglichte, seine Überstunden nicht zu bezahlen. Und er beschloss ernstlich, einmal mit dem Prokuristen zu reden. Das hatte er schon des Öfteren beschlossen.
Günter schob die Zigarette verdrossen hinters Ohr und sah auf die Leuchtziffern der Armbanduhr: Schon neun durch. Mindestens eine Stunde Fahrt lag noch vor ihm. Seine Stimmung war denkbar schlecht. Wie würde es wohl verlaufen, wenn er um Gehaltserhöhung nachsuchte? Er malte sich gern derartige Szenen vorher aus, recht umständlich und in allen Einzelheiten. Man konnte sich damit eine Weile beschäftigen, und schließlich gab es einem das Gefühl, für alles gewappnet zu sein.
Nun, vielleicht ging es so: Man klopfte am Prokuristenbüro, trat ein und sagte: ‚Guten Morgen, Herr Bruchmann.‘ Ein bleiches Gesicht hebt sich von Geschäftsbüchern, die randlose Brille, leichter Lavendelduft. ‚Morgen, Morgen, Morgen – naaa, mein lieber Herr Herbst, was bringen Sie uns Schönes?‘ – ‚Ja also, Herr Bruchmann, ich bin gestern wieder dreizehn Stunden auf Achse gewesen …‘ – ‚Soo, soo, soo …‘ Und nun musste man natürlich zum Kern der Sache kommen. ‚Zu diesen großen Touren muss ich mir immer für den ganzen Tag Kaltverpflegung mitnehmen, Herr Bruchmann, Wurstbrote das läuft mächtig ins Geld!‘ So ganz stimmte das zwar nicht, unterwegs aß er nie viel, und seine Wirtin hob ihm meist etwas Warmes auf. Aber er erkannte wohl, dass dies ein brauchbares Argument sei und beschloss, es sich zu merken. Was konnte Bruchmann schon groß darauf antworten? Nun, wahrscheinlich würde er es andersherum machen. ‚Also, mein lieber Herr Herbst, ich legte Ihnen ja gern fünfzig Mark zu, das können Sie mir glauben! Aber dem Chef ist der Fuhrbetrieb jetzt schon zu teuer, denken Sie mal an die Reifen neulich, und die dauernden Reparaturen. Wenn das so weiter geht, sagte der Chef, dann kommen wir mit Bahnversand billiger davon.‘ Wenn er dir so kommt, dann bist du erledigt, sann Günter schwermütig. Von Bruchmann hing das ja auch nicht ab. Der Chef entschied. Und wenn der nicht will, dann will er nicht. Da kannst du nichts machen.
Günter Herbst schreckte auf. Die Scheinwerfer erfassten ein gelbes Schild; es zeigte den Ortsausgang an. „Magdeburg 42 km“ las er mechanisch. In diesem Augenblick erspähte er eine weibliche Gestalt. Sie stand halb auf der Fahrbahn und winkte mit einem Tuch. Er trat auf die Bremse.
Der Wagen stand. Er drückte die Tür auf, schaute zurück, einen leisen Druck in der Kehle, wütend über sich selbst. Er hatte keineswegs halten wollen. Zu nächtlicher Stunde auch noch Fahrgäste mitzunehmen, das war nicht seine Sache. Es verhielt sich einfach so, dass seine Nerven auf das Winken automatisch reagiert hatten; das Auge sah die winkende Hand, der Fuß trat in das Bremspedal. Soweit ist es schon gekommen! Die Erkenntnis dieses Versagens verschärfte den Druck in seinem Hals. Seine Stimmung hatte nun ihren Tiefpunkt erreicht. Er begriff, dass die Anwesenheit eines Fahrgastes ihm sogar die Möglichkeit nehmen würde, seinem Ärger durch herzhafte Flüche Luft zu machen. Aber was sollte man denn tun? Da kam sie ja schon!
„Guten Abend! Vielen Dank, dass Sie gehalten haben. Fahren Sie nach Magdeburg?“
Günter bejahte und ließ sie zusteigen. Viel konnte er nicht von ihr sehen. Der Stimme nach – ein junges Mädchen. Ihr Regenmantel raschelte an seiner Seite. Aber das war ja alles recht gleichgültig. Wenn du nur erst zu Hause wärst.
„Ich habe den Zug verpasst“, sagte sie, noch immer ein wenig außer Atem.
„Dann hat’s ja noch mal geklappt“, bemerkte er unfreundlich. Er ließ den Motor aufheulen und zog unter kreischendem Knarren den ersten Gang herein; alles missriet ihm heute.
„Und da dachte ich, du stellst dich an die Straße, vielleicht hast du Glück.“
Ihn kümmerte wenig, was sie dachte; und mit einer gewissen Genugtuung unternahm er es, ihrer allzu guten Laune Abbruch zu tun: „Wir müssen vorher noch einen kleinen Abstecher machen. Ein Kunde bekommt noch Ware ausgeliefert. Wird uns ’ne halbe Stunde aufhalten.“ Er schaltete herauf; der Wagen gewann rasch an Fahrt.
„Ach, das macht doch nichts. Ich bin ja so froh, dass ich heute noch nach Magdeburg komme!“
So, sie war froh. Schön, sollte sie; wie es aussah, ließ sich dagegen nichts machen. Er hoffte nur, ihre frohe Stimmung möchte nicht Redseligkeit zur Folge haben. Zu Hause in Ebenstedt gab es einen Friseur, der diesem Laster in erschreckendem Maße verfallen war. Solange er einem nur Klatschgeschichten oder aufgewärmte Witze erzählte, ging es noch an; zwang er einen jedoch durch Zwischenfragen, zu seinem Geschwätz Stellung zu nehmen, dann wurde es lästig. Wenn das Mitteilungsbedürfnis des Fahrgastes sich wenigstens auf die erste Form beschränkte, dann würde er schon zufrieden sein …
Allein sie war verstummt, als ahnte sie seine Gedanken. Vielleicht auch hielt sie nur das laute Motorgeräusch von weiteren Äußerungen ab. So nahm er denn den Faden wieder auf.
Also, angenommen, Bruchmann sagte, der Fuhrbetrieb stelle sich jetzt schon zu teuer, so ließe sich doch dazu einiges bemerken. Denn schließlich war das hier ja ein Holzgaser. Man musste es dem Mann einmal vorrechnen: Dreieinhalb Sack Tankholz brauchte er auf hundert Kilometer, den Sack zu vier Mark; das ergibt vierzehn Mark! Welches Benzinfahrzeug kann da konkurrieren? Ein solches verbraucht bei gleicher Fracht dreißig bis fünfunddreißig Liter; der Liter zu siebzig Pfennig, sofern es sich um Zuteilungssprit handelte, und was dann, wenn der zu Ende ist? – Über des Prokuristen bleiches Gesicht würde nun vermutlich jenes nervöse Zucken laufen, das sich besonders dann einstellte, wenn jemand ihn hart bedrängte. ‚Ja, ja, ja, das ist gewiss richtig, aber vergessen Sie nicht, lieber Herr Herbst, vergessen Sie nicht die Reparaturen, wie zum Beispiel die Reifen neulich, das will alles berücksichtigt sein. Trotzdem, wenn Sie es wünschen, rede ich gern dieserhalb mit dem Chef, selbstverständlich, das tue ich.‘ – Und damit wäre die Angelegenheit aufs tote Gleis geschoben. Denn der Chef war zumeist nicht da. Und kam er wieder, dann hatte Bruchmann längst anderes im Kopf; es gab immer tausend Dinge, die er ihm vortragen musste. So wurde es nichts, das war sicher.“
Erstmals 1985 erschien im Verlag Neues Leben Berlin der Thälmann-Roman „Das Ermittlungsverfahren“ von Walter Baumert, dem der Autor einen zweifachen Dank vorgeschaltet hatte – „dem Institut für Marxismus-Leninismus Berlin für die Bereitstellung des dokumentarischen Materials und Professor Dr. Günter Hortzschansky für die wissenschaftliche Beratung“: Die schwere Klappe in der Zellentür rasselt herunter. Thälmann hört die sich entfernenden Schritte des Wachhabenden, dann herrscht wieder Stille, die ihn seit seiner Isolationshaft wie eine Glocke umschließt. Manchmal, wenn ihm seine schwierige Situation bewusst wird, glaubt er sie unterbrochen von einem klirrenden Ton, der bedrohlich anschwillt, das sind gefährliche Augenblicke, in denen er seine ganze Willenskraft mobilisieren muss. Hitler an der Macht, Millionen Genossen verhaftet oder ermordet, die Partei verboten, wie konnte es dazu kommen – diese Frage stellt er sich immer wieder. Und indem er nach den Ursachen forscht, über sein Leben, den Kampf, die Erfolge, über die Niederlagen seiner Partei im Wirrwarr der Weltwirtschaftskrise nachdenkt, findet er Ruhe und Zuversicht. Göring, die Gestapo und die Reichsjustiz setzen die besten Spezialisten ein, um Thälmann zu einem Geständnis zu zwingen, das Hitler, der einen Hochverratsprozess anstrebt, dringend braucht, um sein Vorgehen gegen die Kommunisten vor der Weltöffentlichkeit zu rechtfertigen. Thälmann, allein in seiner Zelle, doch mit der Gewissheit, die Genossen hinter sich zu haben, beginnt, sich auf den Prozess vorzubereiten.
Das Buch nach dem gleichnamigen DDR-Fernsehfilm von 1981 (Regie: Lothar Bellag) mit Lutz Riemann in der Hauptrolle des KPD-Chefs und Heide Kipp als seine Frau Rosa sowie Gert Gütschow als gewiefter Psychokriminalist Dr. Walter erschien 1985 zeitgleich im Verlag Neues Leben in Ost-Berlin in der DDR und im Weltkreis Verlag Dortmund in der damaligen Bundesrepublik. Und hier ein Auszug, der uns schon mal auf die damaligen Zeiten und auf das Geschehen hinter den Kulissen der Macht einstimmt:
„Der große Schlag misslingt
Göring zögerte keinen Augenblick, die dringenden Empfehlungen Thyssens in die Tat umzusetzen. Noch in der Nacht verständigte er sich mit Hitler, am nächsten Morgen mit Röhm und Goebbels.
Am 24. Februar wurde das Karl-Liebknecht-Haus, der Sitz des Zentralkomitees der KPD, das bereits wochenlang durchstöbert worden war, erneut von einem Polizeiaufgebot besetzt und durchsucht. Am nächsten Morgen berichtete die gesamte Nazi- und Hugenbergpresse von den furchtbaren Entdeckungen, die man nun plötzlich gemacht hätte. Unter diesem so harmlos aussehenden Gebäude sei der Eingang zu einem vermutlich weitverzweigten System geheimer Gänge, unterirdischer Gewölbe und Verliese aufgespürt worden, in denen sich wahrscheinlich ein riesiges Arsenal von Waffen, Sprengstoffen, Bomben befände, mit denen die Kommunisten den bewaffneten Aufstand durchführen wollten. Vorerst hätten Unmassen von Geheimmaterial sichergestellt werden können – detaillierte Pläne für die Entfesselung des Bürgerkriegs, militärische Direktiven für den Tag der großen Verschwörung gegen das Deutsche Reich.
Am 25. Februar brach im Berliner Schloss ein kleiner Brand aus, der mit dem bevorstehenden Putsch der Kommunisten in Zusammenhang gebracht wurde. Die Rechtspresse, der Rundfunk und die Lautsprecherwagen der Nazis überschlugen sich in ihrem wüsten Hetzgeschrei gegen die roten Verbrecher. Viele Bürger glaubten den Enthüllungen und entsetzten sich über die grausigen Pläne der Roten.
Am 26. und 27. Februar steigerte sich die antikommunistische Hysterie in den Massenmedien.
Auf einer großen Wahlkundgebung der KPD in Berlin erklärte der Reichstagsabgeordnete Wilhelm Pieck, die Partei verfüge über zuverlässige Informationen darüber, dass die Naziführung eine groß angelegte Provokation vorbereite, um noch vor den Wahlen die revolutionäre Vorhut der Arbeiterbewegung ausschalten zu können.
Die politische Situation am 27. Februar war aufs Äußerste gespannt, als sich am Abend, kurz nach einundzwanzig Uhr, eine erregende Nachricht in den Straßen der Reichshauptstadt verbreitete.
Der Reichstag brennt!
Wenige Minuten später traf Göring an der Brandstätte ein, wo sich die ersten neugierigen Bummler und Pressekorrespondenten sammelten. Kurz darauf erschienen Hitler und Goebbels auf dem Platz, und gegen einundzwanzig Uhr dreißig war auch Vizekanzler Papen zur Stelle. Ohne die Meldung des untersuchungsführenden Polizeikommandeurs abzuwarten, wandte sich Hitler an Papen und erklärte: „Das ist ein von Gott gegebenes Zeichen. Niemand wird uns jetzt noch daran hindern, die Kommunisten mit eiserner Faust zu vernichten.“
Und an den britischen Korrespondenten Sefton Delmar gewandt, fuhr er fort: „Sie sind Zeuge einer großen neuen Epoche in der deutschen Geschichte. Dieser Brand ist ihr Beginn.“ Erst als der Journalist zurückfragte: „Haben Sie denn jetzt schon Hinweise auf die Brandstifter?“, wurde sich Hitler seines Fehlers bewusst. Ohne eine Antwort zu geben, verschwand er ärgerlich mit seinen Leibgardisten.
Befehlsgemäß rückten noch vor Mitternacht in allen Ländern des Reiches die seit Tagen in Bereitschaft gehaltenen SA- und SS-Stürme, unterstützt von Hunderttausenden Beamten der Sicherheitspolizei aus, um alle namentlich erfassten Funktionäre und Mitglieder der KPD sowie die bekanntesten Antifaschisten aus den Reihen‘der SPD, der Gewerkschaften und der linksdemokratisch gesinnten Intelligenz in die Gefängnisse und in die Folterkeller der SA-Sturmlokale zu schleppen.
Am Morgen erließ Reichspräsident von Hindenburg die „Notverordnung zum Schutze von Volk und Staat“, durch die man nahezu alle verfassungsmäßig garantierten Bürgerrechte außer Kraft setzte und Volk und Reich der absoluten Willkür der Hitlerfaschisten preisgab.
Verboten wurde jedwede Tätigkeit für die Kommunistische Partei Deutschlands.
Verboten oder gleichgeschaltet wurde die gesamte der Regierung nicht genehme Presse. Es begann im ganzen Reichsgebiet eine zügellose Hetzkampagne gegen die Kommunisten. Hitler, Göring und Goebbels wetteiferten in der Erfindung der fantastischsten Lügen- und Gräuelmärchen über die verbrecherischen Pläne der Thälmann-Partei. Das Schreckgespenst der internationalen Verschwörung des Bolschewismus gegen das zivilisierte Deutschland wurde an die Wand gemalt, um die Bürger in Angst und Schrecken zu versetzen und in den Reihen der SA- und SS-Einheiten Hass und Mordlust zu schüren.
Trotz dieses gewaltigen Aufwandes ging die Rechnung Görings, die KPD entscheidend zu treffen, nicht auf. Mit zunehmender Wut addierte er die Meldungen aus dem Reichsgebiet. Das Ergebnis konnte nicht zufriedenstellen. Zwar war es in vielen Regionen des Reiches gelungen, der KPD Schläge zuzufügen. Aber nur ein Bruchteil der vorgesehenen Verhaftungen und Exekutionen konnte erfolgreich durchgeführt werden. Die überwiegende Mehrheit der listenmäßig erfassten Kommunisten traf man weder in ihren Wohnungen noch an ihren Arbeitsstätten an. Trotz schwerster Verhöre unter Folter und Morddrohung gelang es nicht, die illegalen Quartiere der Gesuchten zu ermitteln. Die gefährlichsten Kommunistenführer aus der Parteizentrale blieben auch bei intensiver Fahndung unauffindbar.“
Am 6. Juli erscheint der Schwerin-Krimi „Verhängnis in der Grotte. Nora Grafs dritter Fall“ von Christiane Baumann, der wie auch die beiden vorangegangenen Bücher sowohl als gedruckte Ausgabe wie auch als E-Book zu haben ist und bereits vorbestellt werden kann: In der Grotte im Burggarten des Schweriner Schlosses wird eine junge Berlinerin überfallen und lebensgefährlich verletzt. Einen Tag später verschwindet Nora Graf, Hauptkommissarin bei der Schweriner Mordkommission, in ihrer Mittagspause spurlos. Ihr Auto steht verlassen auf dem Parkplatz des Schlosspark-Centers. Keiner ihrer Kollegen kann glauben, dass Nora einfach so abgetaucht ist. Wahrscheinlicher ist, dass sie entführt wurde und in irgendeinem Versteck festgehalten wird. Wurde Nora verschleppt, weil sich jemand an ihrem Lebensgefährten Tom rächen will? Spielt das kleine Mädchen eine wichtige Rolle, von dem sie wegen einer Puppe angebettelt wurde? Tom sucht auf eigene Faust nach Nora und gerät selbst in Gefahr. Als Nora wieder frei ist, muss sie einen schweren Schicksalsschlag verkraften. Sie erfährt den Grund für Toms Angst vor toten Menschen. Im folgenden Textausschnitt wissen die Ermittler schon ein bisschen mehr, aber noch längst nicht genug. Und die Hauptkommissarin befindet sich offenbar in einer höchst gefährlichen Situation:
„Tag 2 Samstag, am Tag nach der Entführung
Hansen
Er hatte Wochenenddienst angeordnet und war vor seinen Kollegen im Büro, um noch einmal die Lage zu überdenken. Hansen war müde, die Sorge um Nora hatte ihm den Schlaf geraubt. Er hatte Stunde um Stunde gegrübelt, was geschehen sein könnte und fand keinen Grund für ihr Verschwinden: kein übertriebener Stress in der Arbeit oder im Privatleben. Deshalb schloss Hansen ein freiwilliges Abtauchen von Nora aus. Obwohl ihm der gehässige Gedanke gefiel, sie hätte endlich erkannt, dass Thomas Weller ein unpassender Partner für sie war und sie hätte sich irgendwo eine Auszeit genommen.
Aber Nora war kein feiger Typ. Wenn sie den Weller verlassen wollte, würde sie ihn verlassen. Es passte nicht zu ihrer Art, sich ohne ein Wort abzuseilen und damit alle, die sie liebten und denen sie viel bedeutete, in Angst und Schrecken zu versetzen. Andererseits, sie hatte ihr Verhältnis monatelang vor ihrem Ehemann Robert geheim gehalten. Seit ein paar Tagen war die Katze aus dem Sack. Nora wollte ihr Leben neu ordnen und hatte mit Ehemann und Tochter über ihren Scheidungswunsch gesprochen. Das nötigte ihm Respekt ab. Er, Hansen, dagegen rang seit Jahren mit sich, ob er die Scheidung einreichen sollte, obwohl er schon lange von seiner Frau getrennt lebte.
Hansen hörte laute Stimmen vor dem Büro. War das etwa wieder der Weller? Wie der sich gestern Abend aufgeführt hatte. Als würden sie Däumchen drehen, während Nora womöglich in Gefahr schwebte! Unverschämtheit!
Er unterdrückte gerade ein Gähnen, als es klopfte, und seine engsten Mitarbeiter Antje Siggelkow, Gesine Romer und Holger Klein nahmen vor ihm Platz. Eine Frage brannte dem Chef auf den Nägeln, und er wandte sich direkt an Antje: „Wo ist Noras Waffe?“
„Sicher in ihrem Schreibtisch.“
Hansen nickte erleichtert; wenigstens diesen Punkt konnte er abhaken. Er schaute einige Augenblicke in die ernsten Gesichter seiner Kollegen. Sie waren seit vielen Jahren ein Team und konnten einander vertrauen. Zusammen würden sie auch diese Krise durchstehen. Und er, der Chef, musste jetzt besonders stark sein, auch wenn er sich angeschlagen fühlte.
Und so begann Hansen, wie gewöhnlich, ohne weitere Umschweife. „Seit Noras Einkauf im Center-Spielwarengeschäft um 12. 45 Uhr gestern sind gut 18 Stunden ohne Lebenszeichen von ihr vergangen. An Noras Auto wurden keine verdächtigen Spuren festgestellt. Ihr Handy ist aus und die Handtasche fehlt, in der sich Ausweis, Schlüssel und Geld befunden haben müssen. Ich habe bisher keine Idee, was vorgefallen sein könnte. Es deutet vieles auf eine Entführung hin.“
„Nora lässt niemals ihr Auto unverschlossen stehen. Zumal es neu ist“, unterstützte Antje diesen Gedanken, „die Situation auf dem Parkdeck wirkte, als wäre sie nach dem Einkauf unerwartet abgelenkt worden.“
„Zeigen die Videos vom Parkplatz was dazu? Ist Nora drauf zu sehen?“, fragte Holger.
„Ja, drei Mal“, antwortete Hansen. „Bei der Einfahrt 12. 24 Uhr mit dem Auto, wie sie gleich darauf ins Center geht und wie sie um 13. 12 Uhr mit Handtasche und Tüte das Center verlässt und in eine Richtung läuft, wo ihr Auto steht. Das ist erst mal alles. Die Videoaufnahmen werden in der KTU intensiv ausgewertet.“ Er ruckte unmerklich auf seinem Sessel hin und her, bevor er eine Tatsache aussprach, die Widerspruch hervorrufen würde: „Die Ergebnisse gehen an Gerd Pankow, Chef der Vermisstenstelle. Wir konzentrieren uns auf Alina Vollmer. Es besteht Verdacht auf Tötungsabsicht, und damit ist das unser Fall.“ Den aufkommenden Protest unterdrückte er mit einer energischen Handbewegung. „Mir wäre es auch lieber, wir könnten uns selbst um Nora kümmern. Aber ihr kennt die Regeln. Also, bitte keine Diskussion. Wir werden selbstverständlich engen Kontakt mit den Kollegen halten.“
„Das ist doch wohl ein Witz“, entrüstete sich Holger. Ja, gestern hatte er den falschen Riecher gehabt, doch inzwischen schien die Lage eindeutig: Nora war gekidnappt worden. Er lag oft quer mit ihr, aber das war vergessen. Nora gehörte zum Team, und sein Kumpel Tom war in die Gräfin immer noch über beide Ohren verliebt. „Nora ist verschleppt worden, und wir warten ab?“
„Der Chef hat recht“, entgegnete Gesine, „Nora wird vermisst. Dafür ist die Vermisstenstelle zuständig und viel schlagkräftiger aufgestellt.“
„Dann sag das mal Tom so cool ins Gesicht“, meinte Holger, „er ist völlig fertig mit den Nerven und verlässt sich auf uns.“
„Tom tut mir sehr leid“, sagte Antje mitfühlend, „wenn mein Freund ohne Vorwarnung abhandenkommen würde …“ Sie stockte und sah verstohlen zu Holger. „Das alles ist schrecklich für Tom. Jemand muss für ihn da sein, soll ich das übernehmen?“
„Thomas Weller hat Familie und Freunde, die ihn unterstützen können, wenn er das will. Hauptsache, er lässt uns unsere Arbeit machen.“ Hansen hoffte, die Gemüter würden sich langsam beruhigen. „Zurück zu Alina Vollmer, dem Opfer des Überfalls in der Grotte im Burggarten. Gibt es dazu Neuigkeiten?“
„Ich glaub, mich tritt ein Pferd“, brabbelte Holger verärgert vor sich hin. „Gehen wir einfach zur Tagesordnung über? Schön, das zu wissen! Falls man mal in eine ähnliche Lage kommt.“
„Spinnst du!“, zischte Antje ihn an.
Hansen bedachte Holger mit einem grimmigen Blick. „Wenn wir uns unbedingt mit Gefühlen beschäftigen müssen, wäre es angebracht, an Noras Ehemann und ihre Tochter zu denken. Ich habe Robert Graf gestern Abend gesprochen. Sein Kontakt mit Nora tendierte seit Wochen gegen Null, und er hat keinen blassen Schimmer, was los sein könnte. Er wollte sich gleich ins Auto setzen. Davon war er gerade noch abzuhalten. Aber heute wird er hier aufschlagen.“
„Und wo will er wohnen?“, fragte Antje, mit einer Spur Kälte in der Stimme. „Zu Noras Wohnung hat er keinen Schlüssel mehr.“
Davon hörte Hansen zum ersten Mal. Erzählte Nora tatsächlich Antje, dass sie ihrem Ehemann den Schlüssel zur Schweriner Wohnung entzogen hatte? Wieso hatte er davon keine Ahnung?“
Das wüssten wir als Leserinnen und Leser natürlich auch gern. Und noch andere offene Fragen harren in diesem dritten Schwerin-Krimi von Christiane Baumann ihrer Antworten. Nicht zuletzt die, wie es mit Nora und Tom weitergeht. Ist es womöglich ein Fall von Liebe …
Viel Vergnügen beim Lesen, weiter eine gute, gesunde und Corona-freie Zeit, bleiben wir alle vor allem schön gesund und munter und außerdem FF – Froh Pfingsten und bis demnächst, wenn der erste Juni-Newsletter in den E-Mail-Briefkasten flattert …
EDITION digital war vor 25 Jahren ursprünglich als Verlag für elektronische Publikationen gegründet worden. Inzwischen gibt der Verlag Krimis, historische Romane, Fantasy, Zeitzeugenberichte und Sachbücher (NVA-, DDR-Geschichte) sowie Kinderbücher gedruckt und als E-Book heraus. Ein weiterer Schwerpunkt sind Grafiken und Beschreibungen von historischen Handwerks- und Berufszeichen sowie Belletristik und Sachbücher über Mecklenburg-Vorpommern. Bücher ehemaliger DDR-Autoren werden als E-Book neu aufgelegt. Insgesamt umfasst das Verlagsangebot, das unter www.edition-digital.de nachzulesen ist, mehr als 1.000 Titel. Alle Bücher werden klimaneutral gedruckt.
EDITION digital Pekrul & Sohn GbR
Alte Dorfstraße 2 b
19065 Pinnow
Telefon: +49 (3860) 505788
Telefax: +49 (3860) 505789
http://www.edition-digital.de
Verlagsleiterin
Telefon: +49 (3860) 505788
Fax: +49 (3860) 505789
E-Mail: editiondigital@arcor.de