Angesichts der Krise greifen Regierungen und Zentralbanken weltweit börsennotierten Unternehmen mit Rettungsmaßnahmen unter die Arme. Diese Maßnahmen sind allerdings an Bedingungen geknüpft, die das Verhältnis zwischen Regierungen, Gesellschaften und der freien Wirtschaft nachhaltig verändern werden. Dieser Ansicht ist Jennifer Anderson, Co-Leiterin im Bereich „Sustainable Investment and ESG“ bei Lazard Asset Management. „Corona stellt die Idee des Primats der Aktionäre in Frage. Investoren und Vorstände müssen nun erkennen, dass die Pandemie zu einer Neubewertung der Unternehmensverantwortung führt. Und zwar nicht nur gegenüber Lieferanten, Kunden und Mitarbeitern, sondern auch der Gesellschaft als Ganzes“, so Anderson. Auch für Investoren hat das Folgen wie etwa bei den Dividendenzahlungen.

Aktuell profitierten viele Unternehmen von staatlichen Unterstützungsprogrammen, wie dem Zugang zu Krediten oder Beihilfen für die Löhne von Angestellten. Damit rücken aber auch die Erwartungen der Regierungen an das Verhalten von Unternehmen stärker als bislang in den Mittelpunkt der unternehmerischen Entscheidungsfindung. „Das wird wahrscheinlich dazu führen, dass die Einstellung des Managements zu Aktionärsgewinnen, Verschuldungsgrad und wirtschaftlicher Lastenverteilung neu bewertet und angepasst werden muss“, gibt Anderson zu bedenken. 

Sie verweist auf die Bankenrettungen während der globalen Finanzkrise, die die Erwartungen an das Verhalten der Banken verändert hätten. „Unternehmen werden nun auf diese Gesundheitskrise reagieren und ihre ‚gesellschaftliche Lizenz‘ stärken müssen, beispielsweise indem sie ihre Beziehungen zu direkten sowie indirekten Stakeholdern verbessern“, unterstreicht Anderson. Bereits vor dem Ausbruch der Pandemie sei die Idee des Primats der Aktionäre ins Wanken geraten. Einige Großanleger und Investoren hätten sich zunehmend auf das Thema Nachhaltigkeit und einen Geschäftsansatz fokussiert, der die Bedürfnisse der Gesellschaft und der Umwelt berücksichtige. „Die Pandemie dürfte diesen Trend beschleunigen“, argumentiert die Expertin. Denn Unternehmen mit einer sich verschlechternden gesellschaftlichen Lizenz seien besonders verwundbar. Bei ihnen sei die Wahrscheinlichkeit höher, öffentlich angeprangert zu werden und damit strengere staatliche Regulierungen auf sich zu ziehen.

Auswirkungen auf Dividendenzahlungen

„Das wird auch für Investoren nicht folgenlos bleiben“, prognostiziert Anderson. Zu spüren sei der gesellschaftliche Wandel bereits beim Thema Dividendenzahlung. Regierungen, Zentralbanken und Regulierer üben bereits Druck auf Unternehmen aus, Dividendenzahlungen auszusetzen. „Der Stand der Dividenden-Futures preist bereits Kürzungen bei europäischen börsengelisteten Unternehmen in Höhe von 60 Prozent ein. Das ist fast doppelt so viel wie während der Finanzkrise“, so Anderson. Auch die Europäische Zentralbank (EZB) habe Ende März empfohlen, das Kapital aus nicht ausgezahlten Dividenden oder Aktienrückkäufen dafür zu verwenden, Haushalte, Kleinunternehmen und gewerbliche Kreditnehmer zu unterstützen, oder mit den Finanzmitteln bestehende Kreditrisiken bei dieser Gruppe zu absorbieren. Andere Unternehmen hätten bereits gezeigt, wie sie diese Finanzmittel anderweitig einsetzen, häufig mit klaren Vorteilen für die Realwirtschaft. Anderson nennt beispielhaft die Accor-Hotelgruppe: „Das Unternehmen hat die gesamte Dividende gestrichen und etwa 25 Prozent des Dividendenwerts in einen Härtefonds eingezahlt. Zusätzlich hat der Unternehmensvorstand sein Gehalt um 20 Prozent gekürzt und die eingesparten Mittel in den Fonds fließen lassen.“

Nach Ansicht Andersons beginnen immer mehr Unternehmen, die Bedeutung einer breiteren Berücksichtigung von Stakeholdern zu verstehen. „Die Gefahr, öffentlich an den Pranger gestellt zu werden und negative Reaktionen von Kunden und Angestellten zu erhalten, ist für viele Unternehmen sehr real geworden. Dieses Risiko wird durch die sozialen Medien nochmals verstärkt“, sagt Anderson. In der Folge würden Unternehmen verschiedene Maßnahmen ergreifen, um ihre Stakeholder und die Gesellschaft insgesamt zu unterstützen. Das beginne bei Spenden, über die finanzielle Unterstützung unmittelbarer Stakeholder wie Kunden, Mitarbeiter oder Lieferanten bis hin zur Umschichtung von Produktionen und Dienstleistungen zur Unterstützung der Gesundheitssysteme beispielsweise durch die Produktion von Beatmungsgeräten oder Schutzmaterialien.

„Unternehmen, die nun erfolgreich ihren positiven Beitrag für die Gesellschaft als Arbeitgeber, Anbieter von essentiellen Waren und Dienstleistungen sowie Steuereinnahmen definieren können, werden ihre Aussichten verbessern können zum Nachteil derjenigen Unternehmen, denen das nicht gelingt“, resümiert Anderson. „Für nachhaltig orientierte Investoren ist die Coronapandemie aber auch eine Gelegenheit, zu sehen, wie Unternehmen auf einen plötzlichen und dramatischen Test ihrer Geschäftsmodelle reagieren. Sie können auf diese Weise besser beurteilen, wie Unternehmen die Interessen ihrer verschiedenen Stakeholder abwägen.“

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