Die Verbreitung des Corona-Virus trifft die Wirtschaft weltweit hart. Wie hart genau, ist jedoch schwer vorherzusehen. Prognosen über den Verlauf und die wirtschaftlichen Folgen von Epidemien sind auch deshalb sehr unsicher, weil es an entsprechenden Modellen für die Dynamik von Epidemien mangelt. Ein nachrichtenbasierter Epidemieindex, der Medienberichte für den Zeitraum von Januar 1990 bis Februar 2020 einbezieht, kann an dieser Stelle ansetzen und helfen, die konjunkturellen Auswirkungen epidemischer Schocks auf die deutsche und globale Wirtschaft zu schätzen. Die Analyse zeigt, dass es weltweit zu signifikanten Produktionsrückgängen kommt, die nicht wieder aufgeholt werden, sondern dauerhafter Natur sind. Widerstandsfähige Gesundheitssysteme und eine expansive Wirtschaftspolitik können dazu beitragen, die Kosten von Pandemien zu reduzieren.

Krankheiten begleiten die Menschheit seit jeher. Einige von ihnen kommen eher selten vor, sind aber verheerend, kosten Millionen von Menschenleben und bringen die Wirtschaftstätigkeit zum Stillstand. Andere treten häufig auf, verlaufen aber vergleichsweise mild, etwa die saisonale Grippe. Ausbrüche von Corona-Viren gibt es seit dem ersten globalen Ausbruch im Jahr 2002 im Durchschnitt ungefähr einmal pro Jahrzehnt. Eine pandemische Influenza kommt noch seltener vor, etwa zwei bis drei Mal alle 100 Jahre. Wie beeinflusst eine Virus-Pandemie, wie sie die Welt derzeit erlebt, die Wirtschaftsleistung? Und wie lässt sich das messen?

Die Effekte vollziehen sich über gleich mehrere Wege: Auf der Angebotsseite sinkt die Zahl der Erwerbspersonen, entweder vorübergehend aufgrund von Infektionen oder dauerhaft aufgrund von Todesfällen. Zudem werden während der Pandemie bestimmte Tätigkeiten nicht mehr ausgeübt, andere ArbeitnehmerInnen wiederum fallen aus, weil sie aufgrund von Kita- und Schulschließungen ihre Kinder betreuen müssen. Auf der Nachfrageseite sinkt der Konsum, allen voran der soziale. Menschen können nicht ins Restaurant, Kino oder Theater gehen. Sie können nicht verreisen, weder privat noch geschäftlich. Dem gegenüber steht zwar eine höhere Nachfrage etwa nach Medikamenten, Desinfektionsmitteln oder Lebensmitteln, insgesamt betrachtet sinkt die Nachfrage jedoch.

Medienbasierter Epidemieindex ermöglicht Analyse wirtschaftlicher Folgen

Auftreten und Intensität von Viruserkrankungen lassen sich anhand nachrichtenbasierter Indizes messen.[1] Ein solcher kann auf Basis einer automatisierten Textanalyse über das Online-Medienarchiv Genios erstellt werden. Dieses umfasst für den Zeitraum von Januar 1990 bis Februar 2020 rund 2.200 hochwertige deutschsprachige Medien mit einer Gesamtzahl von mehr als 500 Millionen Artikeln. Für die vorliegende Analyse wurde nach Schlüsselwörtern gesucht, die Pandemien oder international wichtige Epidemien während des Stichprobenzeitraums erfassen: „SARS“, „Schweinegrippe“, „MERS“ und „Coronavirus“. Aus dem monatlichen Vorkommen dieser Stichwörter[2] wird ein aggregierter Epidemieindex erstellt (Abbildung 1).

Dieser Index trifft den retrospektiven Beginn und das Ende von Pandemien und Epidemien, wie sie von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert wurden, ziemlich genau. Er ist aktueller als offizielle Daten zu Infektionen oder Todesfällen, da es keine Verzögerungen bei der Fallzahlermittlung gibt, die zudem weltweit unterschiedlichen Berichtspraktiken und -qualitäten unterliegt. Darüber hinaus wägt er implizit die epidemiologischen Merkmale verschiedener Krankheiten wie Infektions- oder Sterblichkeitsraten ab und fasst die Intensität jeder Krankheit in einem Maß zusammen. Hierdurch werden die Krankheiten für eine wirtschaftliche Analyse vergleichbar. Schließlich spiegelt er das öffentliche Bewusstsein für Infektionskrankheiten wider, das für private Investitions- und Konsumentscheidungen sowie für die Reaktion der öffentlichen Institutionen auf die Ausbrüche von entscheidender Bedeutung ist.

Epidemien haben erhebliche gesamtwirtschaftliche Auswirkungen

Um die konjunkturellen Auswirkungen von Epidemien zu identifizieren und zu messen, fließt der Höchstwert des medienbasierten Epidemieindex in ein Schätzmodell ein, um einen Schock zu simulieren.[3] Die Reaktion der Modellvariablen, etwa die Produktionsleistung eines Landes, auf diesen Schock kann als Prognose verstanden werden. Wie sich zeigt, geht die Produktion in China infolge einer Epidemie deutlich zurück, erholt sich aber schon nach rund einem Quartal wieder. Für andere Länder sind die Auswirkungen größer und anhaltender: Deutschland und Südkorea verzeichnen mit Produktionsrückgängen von bis zu sechs Prozent innerhalb des ersten halben Jahres die größten Verluste (Abbildung 2). Für Frankreich und Kanada sind die Auswirkungen moderater, während die Reaktion der USA irgendwo in der Mitte liegt. Die Weltproduktion sinkt insgesamt um 1,5 Prozent und bleibt für mehr als ein Jahr unter ihrem Trendverlauf. In den meisten Fällen sind die Produktionsverluste infolge einer Epidemie dauerhafter Natur.

Um die internationale Ausbreitung von Epidemien zu untersuchen, wird das Basismodell modifiziert. Es zeigt sich beispielsweise, dass die Ankunft von ausländischen Gästen an Flughäfen unmittelbar nach Ausbruch einer Epidemie um fünf Prozent sinkt (Abbildung 3). Der Rückgang ist für mehr als ein Quartal statistisch signifikant, aber selbst nach drei Quartalen ist er nicht vollständig wett gemacht. Im Gegensatz dazu nehmen die Ankünfte von Einheimischen am Flughafen einen Monat nach dem Schock stark zu. Die Importe der Schwellenländer sinken um etwa drei Prozent, was möglicherweise auf geschlossene Fabriken zurückzuführen ist, die weniger Input benötigen. Dieser Rückgang spiegelt sich mit einer Verzögerung von etwa einem Quartal in den Exporten von Schwellenländern wider. Die Exporte fortgeschrittener Volkswirtschaften gehen sofort und erheblich zurück, während deren Importe mit einer gewissen Verzögerung auf den Schock reagieren, dann aber um ungefähr den gleichen Betrag und ähnlich anhaltend. Insgesamt sinkt der Welthandel in mehr als zwei Quartalen deutlich, um etwa zwei Prozent.

Infolge der Produktions- und Handelsrückgänge geht die weltweite Beschäftigung zwei Quartale nach dem Schock um 0,5 Prozent zurück. Sie erholt sich nur allmählich. Gleichzeitig sinken die Verbraucherpreise deutlich. Sie zeigen eine ähnliche Dynamik wie die Beschäftigung, mit einem Tiefpunkt bei -0,4 Prozent nach sechs Monaten, und kehren nach drei Quartalen langsam auf das Niveau zurück, auf dem sie ohne den Schock gewesen wären. Hingegen steigen die weltweiten Einzelhandelsumsätze über mehrere Monate hinweg erheblich, was wahrscheinlich auf Hamsterkäufe zurückzuführen ist. Die am MSCI-Weltindex gemessenen Weltaktienkurse fallen unmittelbar mit dem Schock und sinken weiter, da die Wirtschaftstätigkeit weiterhin eingeschränkt bleibt. Schließlich senkt die US-Notenbank Federal Reserve, deren Reaktion als Maß für die globale Geldpolitik in das Modell aufgenommen wurde, den Leitzins um etwa 50 Basispunkte

Fazit: Dauerhafte wirtschaftliche Verluste von Epidemien durch widerstandsfähige Gesundheitssysteme und expansive Nachfragepolitik reduzieren

Die Ergebnisse haben mehrere Implikationen. Sie weisen darauf hin, dass Epidemien grundsätzlich hohe Kosten verursachen, vergleichbar mit finanziellen oder politischen Krisen. Der Märzwert des Epidemieindex deutet mit Blick auf die aktuelle Corona-Pandemie darauf hin, dass der Covid-19-Schock ungefähr viermal größer ist als jener, der sich aus früheren Epidemien für die vorliegende Analyse ergibt. Das globale Wachstum dürfte daher in diesem Jahr um bis zu sechs Prozent niedriger ausfallen als ohne die Covid-19-Pandemie. Für Deutschland könnten sich die Wachstumsverluste laut Modell sogar auf zwölf Prozent belaufen. Die wirtschaftlichen Verluste durch ausgefallene Produktion und ausgefallenen Konsum dürften zudem dauerhaft sein. Zwar wird wohl beides nach Abklingen der Pandemie wieder anziehen. Es dürfte aber nicht zu Aufholeffekten kommen. Was während der Pandemie nicht umgesetzt wurde, wird später nicht nachgeholt.

Die wirtschaftlichen Kosten von Epidemien entstehen auch durch Eindämmungsmaßnahmen wie Schulschließungen, Ausgangsbeschränkungen und andere Mittel zur sozialen Distanzierung, mithilfe derer die Ausbreitung zumindest verlangsamt werden soll. Solch drastische Maßnahmen scheinen erforderlich, da das öffentliche Gesundheitssystem nach vielen Jahren der Einsparungen nur über begrenzte Kapazitäten verfügt. Die Kosten solch scharfer Einschränkungen des Wirtschaftslebens, die aus der reduzierten Widerstandsfähigkeit der Gesundheitssysteme folgen, müssen langfristig gegen die kurzfristigen Vorteile der Einsparungen in Nicht-Pandemiezeiten abgewogen werden. Denn widerstandsfähigere Gesundheitssysteme würden in einer Situation wie der aktuellen möglicherweise weniger starke Einschränkungen des öffentlichen Lebens ermöglichen und damit die wirtschaftlichen Kosten von Epidemien verringern.

Schließlich deuten die Ergebnisse darauf hin, dass die negativen Nachfrageeffekte von Epidemien auf Unternehmen, VerbraucherInnen und Investoren größer sind als die negativen Angebotseffekte. Die Konsumentenpreise sinken global. Epidemien sind daher sowohl kontraktiv als auch deflationär. Dies legt nahe, dass eine expansive Geld- und Fiskalpolitik eine angemessene Reaktion auf epidemische Schocks ist.

Fußnoten

[1] Vgl. Scott R. Baker, Nicholas Bloom und Steven J. Davis (2016): Measuring economic policy uncertainty. The Quarterly Journal of Economics 131, 1593–1636.

[2] Da sich die Anzahl der in den Datenbanken gesammelten Texte im Laufe der Zeit ändert, wird die Auftrittshäufigkeit normalisiert. Sie wird durch die Anzahl des Vorkommens des Wortes „der“ geteilt, das am häufigsten verwendete Wort in der deutschen Sprache.

[3] Es handelt sich dabei um ein vektorautoregressives Modell. Bei genauerem Interesse an der Methodik stehen die Autoren dieses Berichts gerne für Fragen zur Verfügung.

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