In Deutschland sind mehr als sechs Millionen Menschen an Diabetes mellitus erkrankt. Eine gefürchtete Folgeerkrankung der Stoffwechselstörung sind Fußgeschwüre, aus denen sich häufig chronische Wunden entwickeln. Jeder vierte Diabetespatient entwickelt im Laufe seines Lebens ein solches diabetisches Fußsyndrom, dessen Behandlung die Hälfte aller Krankenhaustage bei Diabetespatienten beansprucht.
Zugleich ist das diabetische Fußsyndrom hierzulande die mit Abstand häufigste Amputationsursache. „Mit über 40.000 Amputationen pro Jahr liegt Deutschland seit vielen Jahren leider europaweit im oberen Bereich“, erläutert Böckler. „Durch die konsequente Prävention von Fußgeschwüren, die rechtzeitige Diagnostik und eine interdisziplinäre Therapie von Gefäßverschlüssen ließen sich jedoch 60 bis 80 Prozent dieser Amputationen vermeiden, insbesondere Oberschenkel- und Unterschenkelamputationen“, fügt der Ärztliche Direktor der Klinik für Gefäßchirurgie und Endovaskuläre Chirurgie am Universitätsklinikum Heidelberg hinzu.
Deshalb sei der G-BA Beschluss wegweisend, wonach gesetzlich Krankenversicherten mit einem diabetischen Fußsyndrom vor einer geplanten Amputation künftig ein Anspruch auf eine unabhängige Zweitmeinung zusteht. „Um den Verlust einer unteren Extremität zu vermeiden, ist es entscheidend, die arterielle Durchblutung des betroffenen Beines zu verbessern“, erläutert Böckler. Wie gut dies mit welchen Maßnahmen gelingen kann, zeigt eine Untersuchung der Gefäße, eine Darstellung mittels sogenannter Angiografie. „Das ungeschriebene Gesetz lautet daher: keine Amputation ohne vorherige Gefäßdarstellung“, so der Heidelberger Gefäßexperte.
Die Durchblutung des Beines kann mit verschiedenen Eingriffen verbessert werden – dafür stehen Bypassoperationen, aber auch katheterbasierte minimalinvasive Verfahren wie die Aufweitung eines verschlossenen Gefäßes mithilfe eines Ballons („Ballondilatation“) zur Verfügung. „Für die Bypassoperation liegen uns vom Schenkel bis zum Fuß sehr gute Langzeitergebnisse vor“, sagt DGG-Experte Professor Dr. med. Gerhard Rümenapf. „Die Verfahren können dem Patienten für sich allein, manchmal in sogenannten Hybrideingriffen kombiniert überaus effektiv angeboten werden“, fügt der Gefäßchirurg und Diabetesspezialist aus Speyer hinzu. Hinzu kämen fußchirurgische Eingriffe sowie plastisch-rekonstruktive Operationen, bei denen Haut verpflanzt wird, um Wunden zu schließen, die den Knochen angreifen. „Diese Therapien sollten aber möglichst rechtzeitig angewendet werden“, betont Rümenapf.
Welches Verfahren am Ende in Frage kommt, muss individuell für jeden Patienten anhand dessen Risikoprofils, dessen Gefäßdarstellung und Wundbefunds von einem interdisziplinären Behandlungsteam entschieden werden. In einem solchen Team sollten Gefäßchirurgen vertreten sein, aber auch Angiologen, Radiologen, Hausarzt oder Diabetologe, Orthopäden sowie nichtärztliche Assistenzberufe wie Podologen, Fachpflege für Wundbehandlung, orthopädische Schuhmachermeister bis hin zu Schmerztherapeuten und Psychologen.
Jeder Verlust einer Extremität hat negative Auswirkungen nicht nur auf die Lebensqualität, sondern auch auf die Lebenserwartung. So überlebt nach einer sogenannten Major-Amputation, das heißt einer Entfernung des ganzen Ober- und Unterschenkels, nur ein Viertel der Diabetespatienten fünf Jahre; bei der Minor-Amputation unterhalb des Knöchels sind es 80 Prozent. „Die Vermeidung von Major-Amputationen ist daher oberstes Gebot in der Therapie des diabetischen Fußsyndroms“, so Böckler und Rümenapf.
Zum G-BA-Beschluss:
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