Wie kommt ein Unternehmen für Stanztechnik dazu, Spezialanbieter für die Verarbeitung von Faserverbund­werkstoffen zu werden und beide Bereiche erfolgreich zu führen? Klar ist jedenfalls: Wenn ein Unternehmen mitten in den Wirren des 2. Weltkrieges gegründet wird, dann traut man ihm auch diesen Spagat zu. So hat Nägeli Swiss AG erst jüngst eine Weltneuheit in der Verarbeitung von Carbon vorgestellt und stanzt zugleich aus Bandstahl hochkomplexe Gehäuse für Elektromotoren. Wer jetzt denkt, es geht um ein Großunternehmen, der irrt. Das Schweizer Familienunterneh­men verfolgt mit einer besonderen Philosophie eine Strategie, die klassische Betriebswirte in den Wahnsinn treiben würde.

„Wir wollen nicht um jeden Preis wachsen“, betont Christoph Nägeli, Mitglied der Geschäftsführung der Nägeli Swiss AG. Was auf den ersten Blick jeder gängigen Lehrmeinung aus der Betriebswirtschaft widerspricht, ist bei genauer Betrachtung jedoch durchaus reizvoll – und kann so falsch nicht sein. Schließlich feiert Nägeli 2021 sein 80-jähriges Bestehen.

Mit Ideen und deren Umsetzung punkten

Das 1941 von Ernst Nägeli als Stanzerei gegründete Familienunter­nehmen entwickelt und produziert Produkte aus Metall und Faserverbund. Was mit der Herstellung von Kugellagerkäfigen und Zahnscheiben als Schraubensicherungen begann, hat sich zu einer Ideenschmiede für knifflige Aufgaben und Verfahren in der Entwicklung und Herstellung von Teilen aus Metallen und Faserverbundstoffen entwickelt.

Dabei startet das Unternehmen durchaus wachstumsorientiert. Bereits 1948 wird ein neues Gebäude in Güttingen bezogen. Mit den vier wichtigen Prozessen Stanzen, Biegen, Tiefziehen und Prägen leistet das Unternehmen beste Arbeit, so dass 1950 mit IBM ein ganz Großer anklopft. Für den amerikanischen Büromaschinen­hersteller produziert Nägeli Funktionsnocken für elektrische Schreibmaschinen.

Lösungskompetenz wird zur DNA von Nägeli

Auch die Firma Wild Heerbrugg AG wird auf die Schweizer aufmerk­sam. Das Unternehmen, das heute Leica heißt, ordert Zulieferteile für Mikroskope, Theodoliten und andere Vermessungsinstrumente. Beide Aufträge stellen hohe Anforderung an den Werkzeugbau und an die Stanzerei. „Wahrscheinlich wurden wir damals bereits an die DNA unseres Unternehmens herangeführt. Denn je schwieriger die Aufgabe, desto größer unser Interesse, sie zu lösen“, beschreibt Christoph Nägeli, was sein Unternehmen seit vielen Jahren auszeichnet.

Diese Lösungskompetenz zeigt sich auch in den 1960er Jahren bei einem Produkt, das Nägeli für den Skischuhhersteller Raichle fertigt. Mit einer Schnalle lassen sich erstmals die damals noch aus Leder gefertigten Skischuhe schnell und sicher schließen. Die Verbindung von rostbeständigem Stahl und Leder ist dabei nur eine der zu lösenden Herausforderungen. Und noch einmal geht es 1970 in eine Produktion großer Serien. Für einen amerikanischen Hersteller liefert Nägeli Teile für ein Scheibenreinigungsgerät. Verarbeitet werden circa 80 t Metall pro Jahr.

Ergonomische und ökonomische Produkte für den Obstbau

Als dann Mitte der siebziger Jahre in der Folge der Ölkrise die Wirt­schaft schwächelt, sind plötzlich ganz andere Lösungskompetenzen gefragt. Wie kann man wegbrechende Aufträge und Umsätze kompensieren? Hier zeigt sich, welche Vorteile es hat, wenn man nicht zu groß gewachsen ist. Bei Nägeli liegt die Lösung direkt vor der Haustüre. Für Obstbauern in der Ostschweiz entwickeln die findigen Tüftler Baumscheren, Rebscheren und Gartenscheren und die Mitarbeiter bleiben an Bord. Weil man damit natürlich auf einen schon vorhandenen und besetzten Markt trifft, müssen die Produkte besser sein als die, die es schon gibt. Und so zeichnen sich die Scheren durch eine ergonomischere und ökonomischere Benutzung aus. Für einen Schnitt braucht der Anwender deutlich weniger Kraft aufzuwenden. Schnell erobern die raffinierten Produkte ihren Markt über die Region und die Schweiz hinaus. Heute werden sie international vertrieben.

Dieses Prinzip, mit geringerem Kraftaufwand etwas zu betreiben, zieht sich im Folgenden wie ein roter Faden durch die Unterneh­mensphilosophie und taucht noch öfter auf. Hinzu kommt Mitte der siebziger Jahre eine Grundsatzentscheidung der Verantwortlichen: Sie beschließen, dass Nägeli künftig gezielt Artikel mit geringem Beschaffungsanteil und hohem Engineering- beziehungsweise Knowhow-Anteil fertigt. Lösungen und Produkte sollen künftig einen hohen Anteil eigener Wertschöpfung enthalten.

Mit Faserverbund in der Luftfahrt durchstarten

Das führt neben der Weiterentwicklung der Kompetenzen in der Stanztechnik auch zur Kompetenzerweiterung durch den Einstieg in die Faserverbundtechnologie. Ein erster und berühmter Kunde in diesem Bereich sitzt quasi in Sichtweite am gegenüberliegenden deutschen Bodenseeufer. Für den Flugzeughersteller Dornier fertigt Nägeli den rund zwei Meter langen Flügelrandbogen aus Faser­verbund für das moderne Verkehrsflugzeug Dornier DO 328. Damals beginnt die Zusammenarbeit mit der ETH Zürich, die bis heute besteht und sich auf weitere Hochschulen in der Schweiz und in Deutschland ausgeweitet hat. Aus diesem Dornier-Auftrag resultiert auch ein besonderes Gütesiegel: Nägeli erhält das Zertifikat als zugelassener Lieferant der Deutschen Luft- und Raumfahrt.

Für fast noch wichtiger hält Christoph Nägeli in Zusammenhang mit dem Einstieg in die Faserverbundtechnologie jedoch eine weitere Eigenschaft, die das Unternehmen bis heute auszeichnet: „Wir sind neugierig und scheuen uns nicht, in bisher unbekannte Regionen vorzudringen. Wir wissen dabei nicht immer im Vorhinein, ob sich das lohnt.“ So hat sich das Unternehmen für den Bereich Faserver­bundtechnologie einen Zeitraum von zehn Jahren zugestanden, bis sich ein dauerhaft erfolgreiches Standbein etabliert hat.

Spagat zwischen Metall und Faserverbund meistern

Ein weiterer Meilenstein ist 1995 der Start zur Serienproduktion des Fahrradrahmens Arrow Spyce für die Firma Villiger, die einen ausgezeichneten Namen unter den Fahrradherstellern genießt. Der Fahrradrahmen zeichnet sich aus durch sehr geringes Gewicht und eine integrierte, federnde Hinterradschwinge. Mit der Kombination von steifen Carbonfasern und elastischen Glasfasern entsteht eine einzigartige Lösung für ein genussvolles Biken. Beachtenswerte 6000 Rahmen fertigt Nägeli für Villiger. Ein weiteres Serienprodukt, mit dem man 2001 in den Composite-Bereich vordringt, sind Federn aus gerichteten Endlos-Glasfasern für das Unterbett des Schweizer Herstellers Bico. Das millionenfach produzierte Bauteil zeichnet sich durch eine hohe Ermüdungsfestigkeit und einen besonders großen Federweg aus.

Und auch in der Metallverarbeitung tut sich einiges. So werden anspruchsvolle Materialien wie Titan verarbeitet, hochpräzise Bau­teile für die Uhrenindustrie hergestellt oder eine Füllstandsüber­wachung für Schiffstanks gefertigt. Mit der Entwicklung von Werk­zeugen zur Herstellung von Stanz- und Umformbauteilen für die Strickmaschinen-Industrie sowie für einen Elektromotorenhersteller erschließt man sich neue Kunden. Durch die clevere Entwicklung und die zuverlässige Fertigung ergeben sich daraus langjährige Geschäftsbeziehungen, die bis heute andauern.

Neues Spielgefühl für Trompete, Posaune und Co.

Wer jedoch nun glaubt, die Schweizer Tüftler richten sich in ihren Erfolgsbranchen ein, der irrt. Ganz im Gegenteil beginnt 2011 eine Erfolgsgeschichte der ganz besonderen Art, in einer Branche, die niemand wohl auf Anhieb mit Faserverbund in Verbindung bringen würde. Für daCarbo AG fertigt Nägeli Swiss AG die Schallbecher für Trompeten, Posaunen und Flügelhörner sowie die S-Bögen für Saxophone. Dabei spielen die Faserverbundwerkstoffe mehrere ihrer Stärken aus. Die Bauteile lassen sich mit großer Freiheit auslegen. Das Carbon optimiert das Schwingungsverhalten der Instrumente, indem es energiezehrende Schwingungen gar nicht erst aufkommen lässt. Auch hier geht es also darum, Kraft zu sparen. Jazz- und Konzertmusiker aus aller Welt schwören auf die Blasinstrumente mit dem schwarz-goldenen Look. „Wer sie einmal gespielt hat, der gibt sie nicht mehr aus der Hand“, weiß Christoph Nägeli zu berichten.

Mit einem revolutionären Verfahren zu einer Auszeichnung

Doch auch der traditionelle Markt profitiert weiterhin von den Experten im Umgang mit Faserverbundwerkstoff, denn Nägeli Swiss AG industrialisiert 2019 das revolutionäre aCC-Herstellungsverfah­ren (automated-Composite-Compression-Verfahren). Dabei werden Faserchips zu komplexen 3D-Formteilen mit fast jeder gewünschten Geometrie gepresst, und dies in Serienstückzahlen. Das eröffnet ungeahnte Möglichkeiten für den Leichtbau. Ein neu entwickeltes und mit diesem Verfahren hergestelltes Serienteil erhält auf der Swiss Plastics Expo 2020 in Luzern den Publikums-Award als beliebtester Produkt-Showcase. Ausgezeichnet wird der Unterlegkeil „Chock MAX“ aus Carbonfasern für Flugzeuge bis 350 Tonnen. Das Produkt, das Nägeli für ALPHACHOCKS herstellt, ist sehr leicht, absolut robust und lässt sich unter dem Rad zusammen­klappen, so dass es mit wenig Kraftaufwand entfernt werden kann. Nägeli fertigt das patentierte Serienprodukt im neuen aCC-Verfahren. Und so ist man bei Nägeli stolz auf die vielfältigen Kompetenzen, die man sich in den letzten Jahrzehnten angeeignet hat.

Über die Nägeli Swiss AG

Exzellenz in der Nische mit Ideen für den Markt

Die 1941 von Ernst Nägeli als Stanzerei gegründete Nägeli Swiss AG ist ein klassisches Schweizer Familien-unternehmen. Was mit der Herstellung von Kugellagerkäfigen und Zahnscheiben als Schraubensicherungen begann, hat sich zu einer Ideenschmiede für knifflige Aufgaben und Verfahren in der Entwicklung und Herstellung von Teilen aus Blech und Faserverbundstoffen entwickelt. Das Unternehmen, welches in zweiter Generation von Christoph Nägeli und in dritter Generation von Niklaus und Dominik Nägeli geführt wird, fertigt vorwiegend Produkte mit hohem Engineering-Anteil und hoher Wertschöpfung. Seit 1987 erweitert Nägeli kontinuierlich die Kompetenz in der Faserverbundtechnologie und realisiert Projekte in einer Vielzahl unterschiedlicher Branchen unter anderem auch in der Luft- und Raumfahrt.

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