Empfehlung: Zweitmeinung schützt in vielen Fällen vor schnellem Einsatz von Gelenkprothesen

Beim Einsetzen von Gelenkprothesen sind die Deutschen im Spitzenfeld. Fast 400.000 Hüft- und Kniegelenke werden jedes Jahr durch Implantate ersetzt.  Mehr als jede zehnte Prothese muss allerdings wieder ausgewechselt werden. Die aktuellen Schlagzeilen um mangelhafte Prothesen sorgen für Verunsicherung bei Patienten. „Auch wenn die momentane Diskussion emotional sehr überzogen ist, so gilt: „Künstliche Gelenke sollten wenn möglich vermieden werden“, sagt Professor Dr. Joachim Grifka, Direktor der Orthopädischen Universitätsklinik Bad Abbach. Der Therapiealltag in dem Behandlungszentrum vor den Toren Regensburgs zeigt: Es geht auch anders.

Mittlerweile gibt es eine Vielzahl von Alternativen zum nicht mehr umkehrbaren künstlichen Gelenk. So haben die Chirurgen in Bad Abbach eine sichere Operationsmethode zur Gelenkumformung der Hüfte entwickelt. Mit Hilfe dieser „Arthroplastik“, die nur kleine Einschnitte erfordert, lässt sich der altersbedingte Gelenkverschleiß deutlich reduzieren und der Einsatz eines künstlichen Hüftgelenks zeitlich erheblich hinauszögern. „Mehr als 10 Prozent der Patienten, bei denen ein künstliches Hüftgelenk vorgesehen ist, können heute mit dieser in Bad Abbach speziell entwickelten Technik gelenkerhaltend operiert werden, brauchen also noch kein künstliches Hüftgelenk“, so Professor Grifka.

Patienten mit Rücken- oder Bandscheibenproblemen profitieren von einem ebenfalls neuen „multimodalen Therapie-Konzept“. Die wichtigsten Vorteile der multimodalen Behandlung für die Patienten: viel genauere Diagnosen, individuell maßgeschneiderte Therapien und vor allem die Vermeidung von Überbehandlung oder überflüssigen Operationen. „Ein großer Teil der Patienten, die anderswo bereits einen Operationstermin hatten, ist nach der Behandlung in Bad Abbach auch ohne chirurgischen Eingriff wieder beschwerdefrei“, sagt Oberarzt Dr. Florian Faber, einer der Ärzte der 2017 gegründeten Sektion Wirbelsäule in der Klinik.

Bei Arthrosen gibt es wirkungsvolle konservative Therapiemaßnahmen als Alternative zum vorschnellen Kunstgelenk. Spritzen, entzündungshemmende und schmerzstillende Medikamente sowie Akupunktur, manuelle Medizin, physikalische und physiotherapeutische Anwendungen und Blutplättchen aus dem eigenen Blut (PRP) helfen vielen Patienten mit Arthrose zumeist gut und ohne das Gelenk ersetzen zu müssen.

Im Kniegelenk haben arthroskopische Operationstechniken in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht. Eine besonders elegante chirurgische Lösung, wenn nur einzelne Gelenkanteile von der Arthrose betroffen sind, ist die „Micro-Frakturierung“ und die Knorpelzelltransplantation, mit der sich die Bildung von körpereigenem Knorpelersatz anregen lässt.

Zweitmeinung schützt vor unnötigem Gelenkersatz
Der Rat des Spezialisten an Betroffene, die angesichts massiver Beschwerden über einen Gelenkaustausch nachdenken – auch mit Blick auf die aktuelle Diskussion zur Qualität von Implantaten: „Vor jeder Operation unbedingt eine Zweitmeinung einholen. Immer wieder kommen Patienten zu uns, denen eine Operation empfohlen wurde, obwohl sie gar nicht nötig ist“, sagt Professor Grifka.

In der Zweitmeinungssprechstunde an der Universitätsklinik Bad Abbach werden in einem Jahr die Ursprungsdiagnosen von mehr als 1.200 Patienten überprüft. „In 60 Prozent aller Fälle wich unsere Beurteilung der Erkrankung deutlich von der ursprünglichen Empfehlung ab“, sagt Klinikdirektor Professor Dr. Joachim Grifka. Ein künstliches Gelenk ist ein Segen, wenn es notwendig ist. Aber es ist immer nur die letzte Maßnahme, wenn alles andere nicht mehr hilft.

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