Wie familienfreundlich ist das europapolitische Brüssel? Für diese Frage war der  Monat Mai ein geeigneter Stimmungstest. Am 15. Mai wurde offiziell von der UNO der Internationale der Tag der Familie begangen. Am 17. Mai fand ein „Internationaler Tag gegen Homophobie, Transphobie und Biphobie“ statt. Deutlicher konnte der Unterschied nicht sein: die EU-Institutionen haben den Familientag totgeschwiegen, den LGBT-Gender-Tag dagegen mit viel Verve und auf Kosten aller Steuerzahler gefeiert. Innen-Kommissar Timmermans vertrat die EU-Kommission gar beim Brüsseler Christopher-Street-Day.

Der Internationale Tag der Familie ist ein offizieller Gedenk- und Aktionstag der Vereinten Nationen. Das legt die Entschließung 47/237 vom 20. November 1993 fest. Alle Mitgliedsstaaten der EU haben dem zugestimmt. Die Völkergemeinschaft will damit dem besonderen Schutz von Ehe und Familie für die gesellschaftliche Entwicklung Ausdruck verleihen. Eigentlich eine Steilvorlage für die christdemokratische Parteienfamilie EVP (CDU/CSU) im Europa-Parlament. Sie hatte an diesem Tage einen pragmatischen Anlass, knapp ein Jahr von den Wahlen zum EU-Parlament am 26. Mai 2019 – einem „politischen Glaubensbekenntnis“ gleich – ihre Unterstützung für die Förderung von Ehe und Familie zu bekunden. Doch die Institutionen der EU schwiegen den Internationalen Familientag tot, als schämten sie sich dafür. Die Ethik-Arbeitsgruppe der Christdemokraten unter der Leitung des slowakischen Abgeordneten von der KDH, Miroslav Mikolasik, hatte erst gar keine Sitzung anberaumt. Eine Arbeitsgruppe der EVP unter Leitung des österreichschien ÖVP-Abgeordneten Lukas Mandl organisierte während des Mai-Plenums in Strasbourg eine nicht weiter beachtete Anhörung über Extremismus, anstatt den Anlass des Familientags für eine Schärfung des christdemokratischen Profils zu nutzen. Der Europa-Abgeordnete Lukas Mandl gehört zwar der katholischen akademischen Studentenverbindung RhaetoDanubiaim österreichischen Cartellverband (ÖCV) an, aber seine links-grünen Abstimmungsergebnisse zugunsten von Abtreibung und der Homo-Ehe sowie gegen den Schutz verfolgter Christen weisen ihn als Fan von Ulrike Lunacek aus, jener grünen Vizepräsidenten des Parlaments, die keine Gelegenheit auslässt, Themen mit Bezug zu Gleichgeschlechtlichen nach vorne zu bringen. Lediglich die Familien-Intergruppe von Anna Záborská veranstaltete eine, übrigens gut besuchte, öffentliche Anhörung.

Das Ergebnis des Mai-Stimmungstests ist bemerkenswert. Denn die Abgeordneten der EVP (ÖVP, CDU/CSU) positionieren sich ansonsten gern als die einzigen Verteidiger von Ehe und Familie. Es sind offenbar Lippenbekenntnisse. Die Kommunisten und die Grünen versprechen erst gar nichts. Parlamentspräsident Antonio Tajani (ebenfalls EVP) schlug die ausgestreckte Hand des stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der EFDD, Jörg Meuthen, aus; Meuthen hatte bei der Eröffnung des Plenums am 16. April 2018, also gut einen Monat vor dem Internationalen Familientag, ausdrücklich darauf hingewiesen und den Präsidenten eingeladen, dafür zu sorgen, dass das EU-Parlament dazu Stellung beziehen möge. Doch der Parlamentspräsident ließ diese Gelegenheit verstreichen. Doch kam er nicht darum herum, eine „Grosse Anfrage“ im Plenum aufzurufen, die Meuthen namens seiner Fraktion zum Internationalen Familientag gestellt hatte. Eigentlich hätten die Kommissare Timmermans (Innen), Jourova (Frauen) und Thyssen (Arbeit und Soziales) im Plenum Rede und Antwort stehen müssen. Doch stattdessen las der Katastrophenschutz-Kommissar eine Rede ab.

Der Kontrast zu den Aktivitäten der EU-Verwaltung für den sogenannten Tag gegen Homophobie, Transphobie und Biphobie zwei Tage später hätte nicht grösser sein können. Die Veranstaltungen dazu zogen sich im Vorfeld der üblichen Frühjahrs-Demos der LGBT-Gemeinschaft („Christopher Street Day“) über eine ganze Woche vom 15. Mai bis zum 19. Mai hin. Die Vereinigung schwuler und lesbischer EU-Praktikanten sowie die schwul-lesbische Eurokraten-Gewerkschaft „Egalité“ organisierten Videokonferenzen und Mittags-Gespräche in Strasbourg, Brüssel und Luxembourg. Die LGBT-Gewerkschaft Egalité beging ihr fünfundzwanzigjähriges Bestehen in Gegenwart des deutschen EU-Kommissars Oettinger (CDU). Dass es in den EU-Institutionen eine eigene Gewerkschaft für schwule und lesbische EU-Beamte auf der Grundlage ihrer sexuellen Orientierung gibt, gehört zu den gut gehüteten Geheimnissen, weil dort selbstverständlich nicht nur die kleinen Beamten der niederen Gehaltsgruppen vertreten sind, sondern gerade auch diejenigen, die die EU-Politik bestimmen und dafür ihre eigene sexuelle Vorliebe als Maßstab nehmen. Die Personalabteilung des EU-Parlaments organisierte ein Seminar mit Kinofilm zur Sensibilisierung der Lebensbedingungen transsexueller EU-Beamter. Das Wohlergehen transsexueller Menschen gehört offenbar zu den Prioritäten in der Herzkammer der EU. Für den 17. Mai wurde zu einer symbolischen Demo auf dem Vorplatz des EU-Parlaments aufgerufen. Tatsächlich kamen etwa achtzig Leute aus den Institutionen und den umliegenden Büros, alle Altersstufen, Dienstgrade und Verantwortungsbereiche durchmischt. Doch wirkte die Inszenierung am Platz Luxembourg trotz des strahlenden Frühjahrs-Sonnenscheins ziemlich herzlos. Zudem war der Platz mit Ausstellungstafeln über Andalusien bereits anderweitig gebucht. So wussten die dem Schauspiel unerwartet ausgesetzten Besuchergruppen nicht genau, warum zwischen Schautafeln über Andalusien einige aufgeregte Leute Selfies machten mit einer Regenbogen-Fahne um die Schulter. Eine Regenbogenfahne flatterte etwas verlassen unter einem Portrait von Simone Veil, jener französischen Politikerin, die das erste radikale Abtreibungsgesetz nach dem Krieg in einem Mitgliedsstaat der damals jungen Europäischen Gemeinschaft durchgesetzt hatte und die später dem EU-Parlament als erste Präsidentin diente.

Dieses Bild war bezeichnend für die familienpolitischen Präferenzen der heutigen EU: Am Haus des EU-Parlaments weht die LGBT-Regenbogenfahne mit dem Portrait jener französischen Politikerin, die für ein Abtreibungsgesetz bekannt ist. Zukunftsträchtig ist das nicht für den alten Kontinent, dem die Kinder fehlen und der immer älter wird.

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