Der Trend einer immer weiter aufgehenden Schere in der finanziellen Stabilität deutscher Kommunen ist ungebrochen. Während manche Kommunen nahezu schuldenfrei sind, können bei anderen nicht einmal die gegenwärtig sehr hohen Steuereinnahmen ein vermindertes Tempo beim Schuldenanstieg bewirken. Als Sinnbild für diese mitunter stark angespannten Finanzsituationen dient die oftmals zu beobachtende Zweckentfremdung des Instruments der Kassen- bzw. Liquiditätskredite. Diese sollen eigentlich nur der kurzfristigen Deckung von Liquiditätslücken dienen, werden aber vielerorts dauerhaft und in immer größerem Ausmaße genutzt, um die operative Funktionsfähigkeit der Kommunalverwaltung zu gewährleisten. Daher steht die kommunale Verschuldung nunmehr verstärkt im Fokus von Politik, Forschung und der Öffentlichkeit.
Dies betrifft abgesehen von den Städten und Gemeinden auch die ebenfalls zu kommunalen Ebene gehörenden Landkreise, die allerdings deutlich weniger in der generellen Wahrnehmung stehen. Sie sind wie auch die Städte und Gemeinden selbst Gebietskörperschaften. Jede Gemeinde ist damit entweder Teil eines Landkreises oder besitzt einen kreisfreien Status, so dass sie selbst die Aufgaben eines Landkreises erbringt. Typische Güter und Dienstleistungen der Landkreise umfassen bspw. die Abfallentsorgung, den öffentlichen Personennahverkehr oder Teile des Schulsystems. Da die Landkreise wie auch die Städte und Gemeinden staatsrechtlich der Landesebene zugeordnet sind, variiert der genaue Aufgabenzuschnitt allerdings in den einzelnen Bundesländern.
Landkreise weisen grundsätzlich vergleichbare Probleme mit der Verschuldung auf, verfügen allerdings über einen deutlich geringeren Grad an finanzieller Autarkie. Die wichtigste Einnahmequelle bilden die Zuweisungen der Bundesländer an ihre Landkreise als Teil des kommunalen Finanzausgleichs sowie eine von den kreisangehörigen Gemeinden zu entrichtende Umlage. Sofern die Einnahmen zur Deckung der Ausgaben nicht ausreichen, können sich Landkreise zur Durchführung von Investitionen oder durch Kassenkredite zur Deckung kurzfristiger Liquiditätslücken verschulden. Allerdings zeigt sich auch bei manchen Landkreisen verstärkt eine dauerhafte, immer weiter ansteigende Nutzung von Kassenkrediten, was deren finanziell prekäre Situation verdeutlicht. Im Durchschnitt aller deutschen Landkreise stieg zwischen 1998 und 2010 die Kassenkreditverschuldung pro Einwohner von rd. 19 € auf rd. 116 € an. Eine genaue Betrachtung dieser Zahlen in den jeweiligen Bundesländern zeigt allerdings große regionale Unterschiede auf. In Hessen und Rheinland-Pfalz lag die Verschuldung in Kassenkrediten im Jahr 2010 bei durchschnittlich 482 € bzw. 360 € pro Einwohner, in Baden-Württemberg, Bayern und Sachsen lag sie bei faktisch null. Besonderes Augenmerk gilt dabei der Zusammenführung der Sozial- und Arbeitslosenhilfe und dem hierbei für die Landkreise neu entstanden Ausgabenposten der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach SGB II im Jahr 2005. Damit ging ebenfalls ein sprunghafter Anstieg in der Kassenkreditverschuldung in vielen Landkreisen einher, was eine finanzielle Überforderung durch nicht ausreichende Kompensation dieser zusätzlichen Ausgaben durch Bund und Ländern vermuten lässt. Die statistische Analyse der Studie legt dabei in der Tat nahe, dass manche Landkreise nicht mehr aus eigener Kraft, sondern nur durch immer weiter ansteigende Schulden in der Lage sind, ausbleibende Ausgleichszahlungen im Bereich Sozial- und Arbeitslosenhilfe aufzufangen. Ein schlechteres Verhältnis von Sozialausgaben zur Einnahmesituation bewirkt demnach eine deutliche Erhöhung der Kassenkreditverschuldung.
In der Studie werden ferner die Einflüsse der Politik auf die finanzielle Stabilität der Landkreise untersucht. Dabei wird der Tatsache Rechnung getragen, dass aufgrund der geringen finanziellen Autarkie die Beeinflussung der Kreisfinanzen eher durch die jeweiligen Landesregierungen und weniger durch Landkreisinstitutionen wie Kreistag, Kreisausschuss oder Landrat stattfindet. Im Ergebnis zeigt sich der politische Einfluss auf die Kassenkreditverschuldung auf mehreren Ebenen. Ein übliches Einflussmuster lautet, dass Politiker ihre Wiederwahlchancen durch vermehrte und sichtbare "Wahlgeschenke" erhöhen wollen. Da Landkreise gemeinhin wenig wahrgenommen werden, könnten gerade Landespolitiker somit versucht sein, den Landkreisen in Wahljahren bei der Finanzausstattung weniger Beachtung zu schenken. Dies bewirkt letztlich bei gleichbleibender Ausgabenlast gerade bei bereits übermäßig verschuldeten Landkreisen ohne finanziellen Spielraum einen zusätzlichen Anstieg der Kassenkreditverschuldung. Die Analyse der Studie bestätigt dieses Muster. Die Kassenkreditverschuldung der Land-kreise steigt in Wahljahren der Landesregierung um 4,90 € pro Kopf stärker als in den Jahren ohne Landtagswahl. Ein statistischer Effekt des Einflusses von Kreiswahlen auf die Verschuldung kann hingegen nicht festgestellt werden. Dies verdeutlicht den geringen Einfluss der Kreisinstitutionen auf die eigenen Finanzen.
Der Einfluss der Landesregierungen auf ihre jeweiligen Kreise zeigt sich insbesondere auch an dem Zusammenspiel von Landes- und Landkreispolitik. Die Landeszuweisungen stellen die größte Einnahmeposition der Kreise dar und werden durch das jeweilige Landesfinanzministerium und unter Beachtung einer gewissen Ab- bzw. Rücksprache zwischen Ministerium und Landkreisvertretern festgelegt. Eine größere politische Harmonie zwischen den beteiligten Akteuren kann sich somit positiv auf die Verschuldungssituation auswirken. In der Studie wird daher der Anteil der Übereinstimmung der Parteizugehörigkeiten der Landräte mit der des jeweiligen Finanzministers als Einflussfaktor gemessen. Bei großer Übereinstimmung wird eine eher zielführende Verhandlung zwischen den beiden Ebenen vermutet. Die statistische Überprüfung zeigt, dass dieser Faktor tatsächlich hohen Einfluss ausübt. Eine Zunahme der Übereinstimmung der Landräteparteien mit der Finanzministerpartei um einen Prozentpunkt führt zu einem verminderten Kassenkreditanstieg um 0,26 € pro Einwohner. Der Wechsel eines Landesfinanzministers wirkt sich ebenfalls mit statistischer Signifikanz auf die Kreisverschuldung aus. Die die Kassenkreditverschuldung steigt demnach in den Jahren eines Wechsels um 4,97 € pro Einwohner stärker als in sonstigen Jahren. Zeiten unbeständiger Politik und geringerem Zusammenspiels zwischen den politischen Akteuren haben somit einen direkten negativen Einfluss auf die finanzielle Stabilität der Landkreise.
Die Studie ist erschienen als:
Boll, D., Sidki, M.: Die politische Ökonomie deutscher Landkreise: Determinanten der Verschuldung, Zeitschrift für Wirtschaftspolitik, Band 66, Heft 3, S. 266-293, 2017.
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